0023 - Bei Vollmond kommt das Monster
Windungen durch das Parkgelände der Anstalt bis zu den Stationen eins, zwei und drei.
Sanchini fixierte seinen Freund scharf. »Ich fange langsam an, mich geistig auf Zamorras Seite zu schlagen. Hast du gesehen, welchen Respekt das Monster vor seinem silbernen Amulett hatte? Er erklärte mir, der Talisman besitze eine besondere Ausstrahlung.«
»Fängst du auch schon an?«
»Ja, wie begründest du denn Mauros Verwandlung?«
»So was musst gerade du als Psychiater fragen! Es gibt immer wieder neue, unentdeckte Krankheiten; gerade Mauro schien etwas Derartiges in sich zu tragen.«
Sanchini schüttelte energisch den Kopf. »Aber so etwas tritt doch nicht innerhalb weniger Stunden oder gar Minuten auf. Ich habe Mauro selbst untersucht, heute Nacht, vor knapp drei Stunden. Er bot keinerlei Anzeichen für eine derartige äußere Verwandlung…«
Silla trat plötzlich auf die Bremse. Der Mirafiori schleuderte etwas.
»Was ist denn los?«, rief Sanchini.
»Ich… ich habe es gesehen!«, brüllte Silla. »Das Monster, es ist in der Nähe!«
»Fahr weiter, Angelo«, versetzte der Chefarzt, »reiß dich zusammen und fahre weiter, bis wir die Station erreicht haben.«
Silla hatte den Motor abgewürgt. Jetzt drehte er den Zündschlüssel und gab sich Mühe, die Maschine wieder in Gang zu bringen, benahm sich dabei aber so ungeschickt, dass der Anlasser leer drehte, ohne den Wagen anspringen zu lassen.
Sanchini atmete tief durch. Nicht durchdrehen, sagte er sich immer wieder, behalte bloß die Nerven! Er drehte sich um und blickte zurück in den Park. Soweit er im Mondlicht erkennen konnte, hielt sich nirgends dort zwischen den Büschen und Bäumen ein Lebewesen auf.
»Kein Gas geben«, sagte er zu Silla, »du lässt doch bloß die Maschine absaufen, Angelo.«
Silla versuchte es von neuem. Aber der Mirafiori war nicht so schnell wieder in Fahrt zu bringen. Sie mussten einen Augenblick warten, bis der Motor wieder weitgehend benzinfrei war. Silla biss sich auf die Unterlippe. Plötzlich bemerkte er, wie Sanchini neben ihm starr wurde. Er sah in den Rückspiegel und fuhr ebenfalls zusammen.
Das Monster teilte das Buschwerk mit seinen mächtigen Pranken und kam auf die Asphaltstraße gelaufen. Es hielt auf den Fiat zu.
Mit seinen scheußlich glühenden Augen und den im Wind steil aufgestellten schlohweißen Haaren wirkte es schrecklicher denn je.
»Du hast Recht gehabt, da ist es«, bemerkte Sanchini überflüssigerweise.
»Keiner von uns beiden hat den Mut, auszusteigen und den Kampf aufzunehmen, abgesehen davon, dass wir unbewaffnet sind und dass wir dem Biest in jedem Fall unterlegen sind. Drücken wir die Türknöpfe hinunter, Angelo!«
Rasch betätigten sie die vier Knöpfe, die die Autotüren sicherten und es unmöglich machten, sie von außen zu öffnen. Silla verhielt sich hastig; Sanchini agierte mit gespielter Gelassenheit.
Das Monster war am Wagenheck. Brüllend hob es die Pranken.
Geifer lief aus seinem abscheulichen Maul. Manchmal zerplatzte eine Speichelblase vor den verwüsteten Lippen.
»Sieh nicht hin«, wandte sich Sanchini an den Freund. »Soll ich das Steuer übernehmen?«
Angelo Silla winkte ab. Mit bebenden Fingern rückte er seine Brille zurecht, dann betätigte er wieder den Anlasser. Zunächst hörte es sich an, als wolle der Versuch wieder ergebnislos verlaufen – doch plötzlich kam die Maschine stotternd. Silla drückte die Kupplung und legte den ersten Gang ein.
Jäh lief ein Zittern durch den Wagen. Der Mirafiori wurde hin und her gerissen; schließlich hob sich das Heck. Silla brüllte auf. Aldo Sanchini fluchte, was bei ihm selten vorkam.
Das Monster hatte unter das Wagenheck gegriffen und das Auto einfach hochgehoben, so dass nur noch die Vorderräder den Asphalt berührten. Silla konnte Gas geben, so viel er wollte. Die Hinterräder drehten nur durch, und die Maschine heulte auf, aber der Mirafiori bewegte sich nicht vom Fleck.
Kurz darauf schüttelte das Monster den Wagen, dass die beiden Männer fast mit den Köpfen gegen den Himmel stießen. Sie mussten sich an den Sitzlehnen festklammern.
»Es will uns umbringen!«, heulte Silla.
»Drück auf die Hupe!«, schrie Dottore Aldo Sanchini ihn an.
Silla presste die Hand auf den Hebel. Die Zweiklanghupe veranstaltete einen Lärm, der bestimmt auf dem ganzen Anstaltsgelände zu hören war, und noch darüber hinaus. Gleichzeitig röhrte auch die Maschine, denn der praktische Arzt aus Vigliani hatte immer noch den Fuß auf dem
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