0025 - Der Satansdiener
»Wir – haben eine Panne! Der verflixte Reifen…«
Er brach ab.
Der Blick der gelben Augen haftete auf seinem Gesicht, schien sich tief in seine Pupillen zu senken. Latour schluckte. Er wollte weiter sprechen, irgendwelche unverbindlichen Floskeln, die den Fremden veranlassten, ihm Hilfe anzubieten – aber er vermochte es nicht.
Wie erstarrt blieb er stehen.
Hätte er in diesem Moment davonzulaufen versucht – es wäre unmöglich gewesen. Er kannte den Fremden nicht. Er hatte nie im Leben von dem Magier Geronimo Morgue gehört. Und dennoch stand Charles Latour bereits unter einem magischen Bann, dem sein Wille nichts entgegenzusetzen hatte.
Aus aufgerissenen Augen beobachtete er, wie der Hagere den schwarzen Umhang zurückschlug.
Erst jetzt wurde die Lederscheide an seiner Hüfte sichtbar. Mit einem Ruck zog er das breite Schwert. Latour sah es, ohne zu begreifen. Aber seine Frau, die noch nicht unter dem Bann stand, wich gegen den Wagen zurück, fuhr sich mit den Händen an die Kehle und holte Luft, um gellend aufzuschreien.
Der Kopf des Magiers flog herum.
Ein einziger Blick der gelben Augen traf Germaine – und ihr Schrei erstarb, noch ehe er laut geworden war. Ihre Lippen schlossen sich.
Die eben noch flackernden Augen wurden blicklos, und auch ihren Körper befiel die eigentümliche Starre.
Geronimo Morgue lächelte.
Seine Rechte hob das Schwert. Dicht vor Charles Latours starren Augen funkelte die nadelspitze Klinge. Ganz kurz nur berührte sie die Stirn des Mannes, ritzte eine verschlungene Linie in die Haut, und Latour hatte das Gefühl, als durchzucke eine feurige Lohe seinen Körper.
Der winzige schlangenförmige Schnitt schmerzte nicht. Nur ein paar Blutstropfen glitzerten auf der Haut, rannen über die Stirn und sammelten sich in den Augenbrauen. Geronimo Morgue starrte auf die glitzernden roten Perlen und lächelte.
»Du gehörst mir«, sagte er, während er das Schwert wieder senkte.
»Du bist mein Sklave.«
»Ich bin dein Sklave«, wiederholte Charles Latour mit dumpfer, tonloser Stimme.
Die Augen des Magiers begannen zu funkeln. Ein dünnes, satanisches Lächeln zuckte um seinen Mund.
»Du wirst es beweisen«, peitschte seine Stimme. »Du wirst töten! Sie! Deine Frau! Ich befehle dir, sie zu töten! Auf der Stelle…«
»Töten«, wiederholte Latour flüsternd. »Töten! Töten…«
Irgendwo in der Tiefe seines Hirns schien das Wort Widerhall zu finden. Wie ein Krampf lief es über seine Gestalt. Er drehte den Kopf, sein Blick zuckte umher – und sog sich an dem blassen, puppenhaft starren Gesicht seiner Frau fest.
»Töten«, murmelte er wie zu sich selbst. »Germaine! Ich muss – Germaine töten! Ja, ja…«
Ein Ruck ging durch seinen Körper.
Mit den mechanischen, abgehackten Schritten einer Marionette, die an unsichtbaren Fäden gezogen wird, setzte er sich in Bewegung. Langsam, unaufhaltsam schritt er auf seine Frau zu, seine Hände hoben sich, und die Finger krümmten sich wie Krallen.
Germaine Latour verharrte reglos.
Sie war nicht von dem Schwert berührt worden, aber sie stand unter Geronimo Morgues hypnotischem Bann. Ihre Augen spiegelten keine Angst, keinen Schrecken, nicht einmal Verwirrung wider. Mit geweiteten Pupillen, ohne jede Gefühlsregung sah sie ihrem Mann entgegen und machte nicht den geringsten Versuch, dem Verhängnis zu entkommen.
Dicht vor ihr blieb Charles Latour stehen.
Seine Augen flackerten auf. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er zu sich zu kommen, wurde ihm bewusst, was er zu tun im Begriff war, malte sich jähes Entsetzen in seinen Zügen – aber der lichte Moment verschwand so schnell, wie er gekommen war.
Charles Latours gut geschnittenes, gebräuntes Gesicht verzerrte sich zu einer mordlüsternen Fratze.
Seine Hände zuckten vor, schlossen sich wie Stahlklammern um Germaines Kehle. Nicht einmal jetzt wich die Frau zurück. Erst als ihr die Luft knapp wurde, begann sie sich zu wehren. Ihre Augen quollen vor. Verzweifelt schlug sie um sich, bäumte sich auf – aber der hypnotische Bann verlieh Charles Latour unbändige Kräfte.
Er keuchte.
Mit einer wilden Bewegung riss er sein Opfer hoch und schüttelte es. Germaines Glieder zuckten noch ein paar Mal, fuhren ziellos durch die Luft, dann erschlafften ihre Muskeln. Charles Latour ließ sie zu Boden sinken, ihr Kopf fiel zur Seite, und die gebrochenen Augen in dem entstellten, blau angelaufenen Gesicht schienen in den sternenübersäten Nachthimmel zu starren.
Latour
Weitere Kostenlose Bücher