1456 - Catwalk in die Hölle
Plötzlich war Glenda Perkins Nebensache geworden. Der neue Gast schaffte es nicht mehr, sich zu halten. Die Frau stand zwar auf der Stelle, aber sie fing an zu schwanken, und das war der Augenblick, in dem mich nichts mehr auf meinem Stuhl hielt.
Ich schoss von ihm hoch und jagte auf die Fremde zu. Sie war dabei, nach rechts zu kippen. Dabei hatte sie den Arm ausgestreckt, die Finger suchten nach Halt, den sie nicht fanden, und es war auch niemand da, der ihr zu Hilfe eilte.
Ich fing sie ab, denn ich war genau im richtigen Moment bei ihr.
Steif fiel sie in meine Arme. Mit meinen Schuhen zerdrückte ich die Scherben auf dem Boden, in die sie wohl hineingefallen wäre, hätte ich sie nicht abgefangen.
Ich spürte ihr Zittern, obwohl man ihre Haltung als brettstarr bezeichnen konnte. Die Augen hielt sie dabei weit offen, aber sie schien trotzdem nichts wahrzunehmen, denn ihr Blick war nach innen gerichtet.
Ich war kein Arzt, und doch konnte ich hier eine erste Diagnose stellen. Die Frau war krank, sie war so schwach, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.
Glenda hatte ihren Platz ebenfalls verlassen und kam zu mir. Bevor sie eine Frage stellen konnte, wurde ich von Luigi, dem Wirt, angesprochen. Wie immer redete er schnell, diesmal allerdings kam noch die Hektik hinzu.
»Himmel, sie war plötzlich da. Ich habe nichts tun können, Mr Sinclair, gar nichts. Sie stieß mich an. Ich hatte das Tablett voller Gläser stehen, und da passierte es eben.«
»Schon gut, Luigi.«
Der Italiener rollte mit den Augen. »Was ist mit ihr?«
»Sie haben doch einen Raum neben der Küche?«
»Si.«
»Dort bringe ich sie hin.«
»Und dann?«
»Werden wir weitersehen.«
»Gut, ich gehe vor.«
Luigi bewegte seine Beine sehr schnell. Glenda blieb neben mir und schaute sich die Frau an.
»Der geht es wirklich schlecht, John.«
»Dann war dieses Lokal wohl ihre letzte Rettung.«
»Du sagst es.«
Der Raum neben der Küche diente auch als Lager, denn hier stapelten sich Kartons und Dosen an den Wänden. Trotzdem war noch genügend Platz für eine Liege, die Luigi auseinander klappte, sodass ich die Frau dort hinlegen konnte.
»Das reicht erst mal, Luigi. Danke.«
»Ich muss wieder zurück.«
»Gehen Sie nur.«
Er war noch aufgeregt, fuchtelte mit den Armen, sagte jedoch nichts mehr und verschwand.
Glenda und ich schauten uns die Frau an. Vom Alter her mochte sie zwischen 25 und 30 Jahre alt sein. Sie hatte ein schmales, leidlich hübsches Gesicht, und auf ihrem Kopf waren die Haare kurz geschnitten und rötlich eingefärbt.
»Du hast sie noch nie gesehen, oder?«, erkundigte ich mich bei Glenda.
»Natürlich nicht.«
»Hätte ja sein können, dass sie dir mal über den Weg gelaufen wäre, wenn sie hier in der Gegend arbeitet.«
»Nein, das ist nicht der Fall.«
Ich hakte die Fragerei ab und kümmerte mich um die Person. Bekleidet war sie mit einem hellgrünen Mantel, der bis dicht unter den Hals geschlossen war.
Sie atmete flatterig. Zwischendurch war ein Stöhnen zu hören, auch das Zucken ihrer Augen fiel mir auf.
Luigi erschien mit einem Glas frischem Wasser, das er uns reichte.
»Wenn es denn hilft…«
Glenda nahm es entgegen und bedankte sich. Ich hob den Kopf der jungen Frau an und setzte ihr das Glas an die Lippen, damit sie trinken konnte. Ein Schluck Wasser tat in den meisten Fällen gut.
Sie trank sogar, was wir schon als einen Vorteil ansahen, aber gedanklich musste sie weit weg sein, das war am verschleierten Blick ihrer Augen zu erkennen. Eine Handtasche trug sie nicht bei sich, wo wir eventuell Papiere hätten finden können.
Als sie zu hüsteln begann, nahm ich das Glas wieder weg, das sie beinahe leer getrunken hatte. Ich hoffte, dass es der Fremden jetzt besser ging, und wartete darauf, dass sie etwas sagte.
Den Gefallen tat sie mir nicht. Sie lag auf dem Rücken, hielt die Augen offen und schaute stoisch gegen die Decke. Aber sie atmete schon wieder schwerer, was uns darauf hinwies, dass sie unter einem erneuten innerlichen Druck stand.
»Was machen wir, John?«
»Wir werden einen Krakenwagen rufen. Sie muss auf jeden Fall in ärztliche Behandlung oder unter Beobachtung. Sie muss etwas Schlimmes erlebt haben. Wahrscheinlich hat man etwas mit ihr angestellt. Für mich steht sie noch unter Schock.«
Glenda gab mir Recht. Dann fing sie damit an, die Knöpfe des Mantels zu öffnen. Die beiden Seiten klappten auf, und schon nach dem dritten Knopf, der offen stand, bekamen wir
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