003 - Rom sehen und sterben
Behutsam rückte er näher ans Feuer, das Mädchen dicht an sich gedrückt. Doch die Flammen schienen kaum Wärme zu spenden. Als würde diese seltsame Nacht die Hitze fressen.
»Der Wind«, flüsterte der junge Mann seiner Gefährtin beruhigend ins Haar, »es ist nur der Wind.«
Sein warmer Atem an ihrem Ohr ließ Noone schaudern. Sie wollte nicken, wollte sagen, dass sie ihm glaubte. Dass er Recht hatte, ganz bestimmt! Sie wollte sich selbst einreden, dass es wirklich keinen Grund zur Angst gab.
Aber sie schaffte es nicht. Kein Ton kam ihr über die Lippen.
Denn der Wind… atmete nicht, keuchte nicht, knurrte nicht. Der Wind hatte auch keine Augen.
Und Noone fühlte sich beobachtet! Aus der Nacht heraus. Irgendwo da draußen lauerte etwas zwischen den gewaltigen Bäumen und hielt sie gefangen in seinem Blick. Noone spürte es so deutlich, als sei sie von einer Hand gepackt worden, die sie nicht mehr loslassen wollte.
Aber so sehr sie sich auch bemühte, die Finsternis mit eigenen Blicken zu durchforsten, fand sie doch nichts außer dunkelster Nacht.
Endlich schloss Noone die Augen, und das Gefühl, angestarrt zu werden, schwand ein wenig.
Sie schmiegte sich noch enger an Larn, kauerte sich in den Griff seiner kräftigen Arme wie ein Jungtier an seine Mutter und sog den herben Duft ein, eine Mischung aus Larns eigenem Geruch und dem der gegerbten Felle, die er - wie sie selbst auch - als Kleidung trug.
Larn roch so männlich, so stark. Ein angenehmer, beruhigender Geruch.
Noones Lippen kräuselten sich zu einem winzigen Lächeln. Trotz aller Furcht, die sich in dieser Nacht in ihr Herz schlich, bereute sie nicht, was sie getan hatte. Es war die richtige Entscheidung gewesen, Larn zu helfen und bei ihm zu bleiben. Auch wenn der Preis, den sie dafür hatte zahlen müssen, hoch gewesen war - und blutig…
Noone versank in unruhigen Halbschlaf, und ihre Gedanken wanderten zurück in die jüngste Vergangenheit.
Zurück in den Norden, zu der Nomadenhorde, der sie und Larn bis vor einigen Tagen noch angehört hatten - und die über Nacht zu ihrem Todfeind geworden war!
Larn hatte nicht länger die vorgezeichneten Wege gehen wollen. Hatte sich nicht mehr den alten Regeln unterwerfen und nicht länger von alten Männern sagen lassen wollen, was wann und wie zu tun war. Nein, Larn hatte eigene Vorstellungen gehabt, was das Leben der Horde und ihre künftigen Wege anbelangte. Er hatte ein gemeinsames Wirken mit anderen Stämmen im Sinn gehabt. Den Austausch von Wissen und Waren, von Nahrung, Werkzeugen und Waffen.
Und er hatte mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten. Ebensowenig mit der, dass man auf den Rat der Schamanen und ihrer Götter nicht allzu viel Wert legen sollte. Eines Menschen Schicksal liege ganz in dessen eigener Hand!
Das hatte sich als verhängnisvoller Fehler erwiesen. Denn mochte er unter den Jungen der Horde auch Zweifel gesät haben, so hatte er doch vor allem die Göttergläubigen gegen sich aufgebracht. Und deren Zahl war größer und ihr Wort wog schwerer.
Auf Geheiß der Ältesten hin war der junge Aufrührer gefangengenommen, gefesselt und geknebelt worden. Das Urteil stand schon fest, noch ehe es wirklich gefällt war. Aber Noone ließ nicht zu, dass es vollstreckt werden konnte!
Sie war mit Larn aufgewachsen. Sie mochte ihn; vielleicht liebte sie ihn sogar - wenigstens wie einen Bruder, denn mehr als diese Art der Liebe hatte Larn ihr gegenüber nie gezeigt. Noone hatte Larns Reden gehört, und seine Worte hatten etwas in ihr angerührt, auch wenn sie ihnen nicht gänzlich verfallen war. Und so waren es nicht Larns Ideen und Ideale gewesen, derentwegen sie ihren Entschluss gefasst hatte. Nein, sie hatte es einzig um Larns willen getan.
Noone hatte den Gefangenen befreit, bevor sie ihn steinigen oder erschlagen konnten. Mehr noch, sie hatte ihre gemeinsame Flucht vorbereitet. Bis zu dem Moment, da sie und Larn die beiden Frekkeuscher erreichten, die Noone ein Stück abseits des Lagerplatzes versteckt hatte, war alles gutgegangen. Dann war das Verschwinden des Gefangenen entdeckt worden, und noch bevor Noone und Larn auf ihre Reittiere steigen konnten, waren zwei Hordenmitglieder auch schon heran! Larn stellte sich ihnen zum Kampf. Er war ein guter Kämpfer, einer der besten der Horde. Die beiden Verfolger hatten das zu spüren bekommen. Sie waren in dem kurzen, aber heftigen Gefecht ums Leben gekommen…
Wie sie letztlich ungeschoren davongekommen waren, wusste Noone bis
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