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0039 - Turm der Verlorenen

0039 - Turm der Verlorenen

Titel: 0039 - Turm der Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kubiak
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Durchganges. Von der einstmals weißen Farbe des edlen Marmors war längst nichts mehr zu sehen.
    Die Zeit hatte auch hier ihre Spuren hinterlassen und den Steingötzen zu einer dunklen Färbung verholfen.
    Die Menschen in dem Ort hatten sich an den Anblick der Flugdämonen gewöhnt, nur Touristen fielen die Gestalten rechts und links der Torflügel noch auf.
    Niemand glaubte an die reale Existenz dieser Wesen, und doch sollten sie von einer Kraft beseelt werden, die sie aus dem Jenseits bezogen und sie den Befehlen der dort Lebenden auslieferte.
    Mit brutaler Deutlichkeit riss der Mond mit seinem fahlen Schein die Figuren aus der Finsternis. Jede Einzelheit war zu erkennen und wurde durch das Spiel der Schatten auf den verzerrten Zügen der Steinfiguren noch übersteigert und in ihrer Wirkung auf den Betrachter verstärkt.
    Die Gesichter waren ein Mittelding aus Fledermaus und Vogel.
    Der Künstler hatte ihnen eine gefiederte Struktur verliehen, in die das Fledermausmaul mit den spitzen vorstehenden Zähnen nicht so recht passen wollte. Der tote Blick der Augen hatte etwas Bedrohendes, Stechendes in sich. Waren die Augen lebendig gewesen, so wäre eine hypnotische Kraft von ihnen ausgegangen. Doch auch in diesem Zustand schickten sie dem, der Muße hatte, sie genauer zu betrachten, kalte Schauer über den Rücken.
    So hatte man sich vor Jahrhunderten die Sendboten der Hölle vorgestellt. Trotz einer tiefen Gottgläubigkeit war der Aberglaube und anderes kaum erklärbare Gedankengut weit verbreitet.
    Die Flügel der Figuren lagen gefaltet auf dem Rücken, so als wollten die Steintiere jederzeit starten. Das Spiel der Schatten machte sie lebendig und verlieh ihnen eine drohende Haltung.
    Plötzlich wurde ein Lichtstrahl von irgendetwas reflektiert. Ganz kurz nur hatte es aufgeblitzt und war dann sofort wieder verschwunden.
    Ja! Jetzt wieder!
    Es lag in der Region des Kopfes eines dieser Wesen. Träge bewegte sich ein im Marmor stilisiertes Augenlid über dem steinernen Augapfel.
    Die Natur schien den Atem anzuhalten. Der leichte Wind, der durch die Büsche und Baumkronen gestrichen war, hatte sich übergangslos gelegt. Nichts rührte sich in der Umgebung. Alles schien sich auf das schreckliche Geschehen nahe der Kirche zu konzentrieren.
    Wieder blitzte der Lichtreflex auf. Diesmal blieb er etwas länger, bildete einen Lichtschimmer auf der gegenüberliegenden Säule und wanderte auf einmal stetig weiter.
    Ein Knirschen ertönte. Die Säule, auf der die Steinfigur hockte, schien zu wanken und umstürzen zu wollen. Mit träger Langsamkeit neigte sie sich, richtete sich dann aber wieder auf.
    Das Wesen auf der Säulenkrone wandte mit grausiger Bestimmtheit und einem unglaublichen Selbstverständnis den Kopf.
    Erneut brach sich das Mondlicht in den nun immer lebendiger werdenden Augen.
    Auch bei der anderen Gestalt ging Einiges vor sich. Einer der auf dem Rücken zusammengelegten Flügel begann leicht zu zucken.
    Wie ein gerade ausgeschlüpfter Vogel, der nun sein Federkleid aufplustern will.
    Allmählich löste sich der Flügel aus der steinernen Struktur und befreite sich schließlich ganz von ihr. Langsam schwang er hin und her, als wolle er probeweise die Luft schlagen, um die Kraft der Flugmuskeln zu testen.
    Auch diese Gestalt wandte unter einem leisen Knirschen und Knarren den hässlichen Schädel.
    Beide Ungeheuer blickten nun hinüber zur Kirche, als hörten sie dort eine Stimme. Die ganze Körperhaltung der Flugbestien drückte Aufmerksamkeit und Gehorsam aus.
    Nun begann auch die andere Statuette die Flügel zu entfalten. Es vollzog sich ähnlich wie bei dem Gefährten. Zentimeterweise löste sich der Flügel vom Körper der Figur und begann sich in der Luft sanft hin- und herzubewegen.
    Die steinernen Götzen lösten sich von den Säulen und wurden zu selbständigen Lebewesen. Das eine Ungeheuer wandte den Kopf zu seinem Gefährten. Es war, als wollte er ihm eine Mitteilung machen.
    Und die Mitteilung schien verstanden worden zu sein.
    Denn der andere richtete nun auch seinen starren Blick auf die Kirche. Abwartend hockten jetzt beide da, als würde jeden Moment das Zeichen zum Handeln gegeben.
    Und das Zeichen kam.
    Im gleichen Sekundenbruchteil strafften sich die Flugwesen und lösten sich unter neuerlichem hässlichem Knirschen von ihren Säulen, auf denen sie die Jahrhunderte verbracht hatten.
    Jetzt erst war zu erkennen, welche Ausmaße die Ungeheuer hatten. Die Spannweite ihrer Flügel betrug vielleicht

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