0047 - Die Geisterfürstin
Münder.
Wölfe, Frauen mit gespaltenen Zungen, Schlangen, stierköpfige Wesen, Gnome – sie alle öffneten ihre Münder und Mäuler zu einem einzigen, von den bizarren Klängen untermalten Wort:
»Suukaatan…«
Schauerlich hallte dieser vielkehlige Schrei von den Wänden wider, pflanzte sich fort bis in die Herzen des vielhundertköpfigen Publikums.
Wie ein Spuk verschwanden all diese Gestalten, wie ein Spuk verloren sich die Trommelklänge, und dann flammten langsam die Lichter auf.
Der erste Teil der Show war vorüber.
Nahezu tobsüchtiger Applaus brandete beinahe zehn Minuten lang hoch zur Bühne des »HORRAZAR« im Quartier Latin in Paris.
Die Kritiker waren sich einig: eine bessere und mit allen technischen Finessen der Bühnenkunst gespickte Revue hatten sie noch nie vorher gesehen. Ganz Paris würde dem Regisseur und Autor dieses Theaters, Yves St. Laurent, monatelang, wenn nicht über Jahre hinweg zu Füßen liegen.
Mit dieser perfektionistischen Show hatte der junge Künstler sich zweifellos selbst übertroffen. Noch nie vorher hatte die Welt Ähnliches gesehen.
Wie überraschend und phänomenal musste dann erst der zweite Teil werden. Der nach der Pause, die jetzt begann, und die durch den brandenden, unglaublichen Applaus erheblich verkürzt worden war.
Immer noch angenehm geschockt, ergoss sich die Schickeria der Premierenbesucher in das Foyer des neu gegründeten »HORRAZAR«.
***
Eine Menge älterer, schmuckbeladener Damen hatte sich um den jungen Autoren versammelt. Er war blass, nicht groß, hager und wirkte trotz seiner wuchtigen Hornbrille und seines Bartes unscheinbar, ja beinahe ängstlich. Er hatte einen Zug um den Mund, der ihn aussehen ließ, als würde er jeden Moment zu heulen beginnen. In seiner Rolle als Mittelpunkt im Reigen klatschsüchtiger Damen fühlte er sich offensichtlich unwohl. Hilfe suchend streckte er sich auf die Zehenspitzen und sah sich um, ob denn niemand bereit wäre, ihn zu befreien.
»Entschuldigen Sie mich bitte, die Damen«, sagte er mit einer sympathischen, sonoren Bassstimme, die so gar nicht zu seiner Erscheinung passen wollte. »Aber ich muss Sie jetzt leider alleine lassen. Wir sehen uns nachher bei der Premierenfeier wieder, ja? Ich hoffe doch sehr.«
Die Damen versicherten ihm vielstimmig, dass sie natürlich Verständnis hätten an diesem für ihn so erfolgreichen Tag und rückten widerwillig zur Seite, so dass Yves St. Laurent ihren Kreis verlassen konnte.
Der Autor und Regisseur hatte Professor Zamorra neben seiner charmanten Sekretärin und einem Mann, den er nicht kannte, erspäht. Zielstrebig steuerte er die Dreiergruppe an. Der verhärmte Zug um seine Mundwinkel verschwand. St. Laurent bemühte sich um ein gewinnendes Lächeln. Er war zwar nur Amateurforscher auf dem Gebiet der Parapsychologie, doch Professor Zamorra, der anerkannte Fachmann, war ihm ein Begriff. Er hatte viele seiner bahnbrechenden Bücher gelesen und war begeistert.
Er streckte die Hand aus, küsste zuerst Nicoles Handrücken und machte eine galante Verbeugung.
»Guten Tag, Professor«, sagte er dann. »Ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Selbst auf die Gefahr hin, dass mich jetzt herbe Kritik trifft – ich muss Sie einfach fragen: Wie ist Ihr Urteil über die Show?«
Hinter seiner Hornbrille glitzerten die Augen in ununterdrückter Neugier.
Professor Zamorra ließ die Hand wieder los, die er erfasst und ebenfalls geschüttelt hatte.
»Dann sind Sie wohl Monsieur St. Laurent. Ich habe Ihr Bild schon in Magazinen gesehen. Auf den Fotos sahen Sie älter aus. Und auf Ihre Frage werde ich noch zurückkommen. Zuerst möchte ich Ihnen Mademoiselle Duval vorstellen, meine rechte und linke Hand, wenn Sie so wollen. Und hier«, er wies auf Bill Fleming, »das ist Mister Fleming, ein Kollege und Freund.«
St. Laurent grüßte auch Bill, wenn auch lange nicht so herzlich.
»Sind Sie auch Parapsychologe?«, fragte er und kramte in den Schubladen seines Gehirns, ob ihm der Name nicht bekannt vorkäme. Er kannte ihn nicht.
Bill Fleming lächelte.
»Gott bewahre. Ich bin Historiker. Aber unsere Forschungsgebiete überschneiden sich manchmal. Und weil ich schon mal die Gelegenheit habe, mit einem Regisseur zu sprechen, dessen Namen bald die Spatzen von den Dächern pfeifen dürften, interessiert mich Ihre Show, die Sie aus der Historie ausgegraben haben, sehr. Ich erinnere mich da an den Suukaatan-Kult im alten Mesopotamien.«
St. Laurent schaute
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