0049 - Der blaue Tod
auch schlafen legen. Gute Nacht.« Ein bisschen zögernd ging sie zur Tür, zog sie auf und drehte sich noch einmal zu ihm um.
Er lächelte. »Gute Nacht, Nicole. Angenehme Ruhe.«
Sie trat auf den Flur hinaus und schloss die Tür. Zamorra blieb seinen Gedanken überlassen. Die Teilnahme an dem Kongress für Parapsychologie in Venedig war für ihn von relativer Bedeutung, denn es handelte sich um eine Veranstaltung mit hauptsächlich italienischen Teilnehmern und Themen, die sich ausschließlich mit übersinnlichen Erscheinungen im Stiefelstaat befassten. Erschwerend nahm sich für Zamorra auch der Umstand aus, dass nur italienisch gesprochen wurde. Im Geist nahm er alles Gehörte noch einmal durch und forschte nach Einzelheiten, die er übergangen haben konnte.
Die Veranstalter hatten ihn als Ehrengast geladen. Er hatte unmöglich absagen können. Der Kongress dauerte drei Tage, aber von seinem Resultat versprach sich Zamorra nicht allzu viel. Vor allem für Nicole Duval versuchte er daher, die Zeit in Venedig als eine Art Arbeitsurlaub zu gestalten. Der Besuch der Oper an diesem Abend beispielsweise war eine willkommene Unterbrechung gewesen.
Professor Zamorra saß reglos. Nur manchmal griff er nach seinem Glas und nahm einen Schluck Whisky. Aber es war eine mehr unterbewusste, automatische Bewegung. Er war tief in seine Gedanken verstrickt.
Etwas nahm ihn gefangen.
Er wusste nicht, ob es mit dem Kongress zu tun haben konnte.
Aber schon jetzt war ihm klar, dass seine Empfindung sich mit etwas beschäftigte, das außerhalb der Realitätsbereiche und jeder vernunftsmäßigen Erklärung lag. Etwas senkte sich auf seine Brust. In seinem Nacken verspürte er ein feines, brennendes Kribbeln; und seltsame, deprimierende Fragen, die nur die Nähe der Mächte der Finsternis hervorbringen konnten, beschäftigten ihn.
Ein Knistern war plötzlich im Raum.
Zamorras Blick wurde gegen die Wand zwischen den beiden Fenstern des Zimmers gelenkt. Das Licht der Stehlampe erlosch, und tiefe Finsternis breitete sich aus. Zamorra rührte sich nicht – selbst, wenn er es in diesem Moment gewollt hätte, wäre er dazu nicht in der Lage gewesen. Ein lähmender Bann hatte ihn befallen.
Fahler Schein geisterte über die Wand. Formte sich zu Buchstaben, die von rechts nach links abliefen und unverständliche Worte bildeten. Links verblassten die Lettern wieder, während rechts immer neue aus dem Nichts produziert wurden – von einer Kraft, die Zamorra nicht zu identifizieren wusste.
EFLIH… UELB TROM … ULB ETROM … NEMRABRE …
Professor Zamorra spürte, wie ihm Schweißperlen auf die Stirn traten. Seine Nerven waren bis auf das äußerste angespannt, und sein Geist litt unter dem Erlebnis. Ein leises Stöhnen entrang sich seinen Lippen. Die Last, die ihn drückte, nahm zu und er verzerrte das Gesicht.
Weitere unerklärliche Zeichen liefen wie eine Leuchtschrift vor ihm ab. Die Farbe variierte von blau und violett über gelb bis grün.
DRON… 24 … 45 … TSEW … 8 … 0 … 4 … 0 …
Zamorra fühlte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. Er keuchte und versuchte zu schreien, aber es gelang nicht. Plötzlich zerklirrten die Fenster mit heftigem Geräusch. Glasscherben hagelten zu Boden.
Ein eisiger Windhauch strich ins Zimmer, traf Zamorra.
Zamorra vernahm noch einen dumpfen, röhrenden Laut, der direkt aus den Tiefen der Hölle zu kommen schien. Dann versank alles in bodenloser Finsternis.
***
In Venedig war es zu dieser Jahreszeit bei weitem nicht so kühl wie in Frankreich. Nicole hatte daher auf ihren Pyjama verzichtet und war nackt unter die Bettdecke gekrochen. Hatte sich ausgestreckt und rasch den verdienten Schlaf gefunden.
Etwas schreckte sie wieder hoch.
Verärgert blickte sie auf ihre Armbanduhr. Es war nach ein Uhr.
Irgendwo hatte es mörderisch gekracht, und sie glaubte, dass es sich um zerberstendes Glas gehandelt hatte. Nicole hielt es für wahrscheinlich, dass die Laute im Hotel erzeugt worden waren. Wo?
Und warum machte sich niemand bemerkbar, beschwerte sich über die Ruhestörung?
Sie setzte sich auf. Ihr Zimmer lag neben dem von Professor Zamorra und besaß die gleiche Größe, Beschaffenheit und Einrichtung.
Die schöne Französin schaute durch eines der Fenster auf den Markusplatz hinaus – und erstarrte.
Auf dem Dogenpalast bewegte sich etwas. Eine bläuliche Gestalt, die auf einem Pferd saß, strich über das Dach hinweg – hob sich in die Luft empor und glitt auf das Hotel PANADA
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