006 - Die Schuld des Anderen
überzeugen. Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß der wahre Grund Ihrer Anschwärzereien der ist, daß Bell etwas von Ihnen weiß, das Ihnen furchtbar unangenehm ist - und daß Sie nicht lockerlassen, bis Sie die Gewißheit haben, daß er für immer im Ausland bleibt.«
Es war schon ziemlich dunkel, Gold konnte nicht sehen, daß Helder rot wurde.
»Eine sehr sonderbare Vermutung!«
Die beiden waren inzwischen am Cadogan Square angekommen, und als sie sich Bells Haus näherten, holte Gold das Kuvert für Parker aus der Tasche.
»Einen Augenblick, ich möchte nur schnell das hier in Bells Briefkasten werfen - eine Instruktion für sein Personal…«
Es war ein altes Gebäude, und die Wohnzimmerfenster waren so angelegt, daß man von ihnen aus die ganze Treppe beobachten konnte, die zum Eingang führte.
»Vor der Haustür wartet jemand«, sagte Helder plötzlich.
Gold schaute hin.
Tatsächlich stand dort ein junger Mann, der anscheinend auch gerade erst angekommen war, denn er drückte auf den Klingelknopf. Als er die beiden Männer kommen hörte, drehte er sich schnell um.
»Ist einer der Herren Mr. Comstock Bell?« fragte er höflich.
Gold schüttelte den Kopf.
»Nein, Mr. Bell hat sich für längere Zeit ins Ausland begeben.«
»Sind Sie ein Freund von ihm?« wollte der Fremde wissen.
»Warum interessiert Sie das?« fragte Gold.
Der junge Mann reichte ihm eine Karte.
»Mein Name ist Jackson - ich bin Reporter beim ›Post Journal‹ Wir sind darüber informiert worden, daß Mr. Bell heute geheiratet hat. Seit einer Viertelstunde klingle ich hier vergebens.«
Gold steckte den Umschlag in den Briefkasten, bevor er antwortete.
»Nun ja -«, meinte er gutgelaunt. »Ich heiße Gold, und Sie können das, was Ihnen Mr. Bell gesagt hätte, auch von mir erfahren. Er hat tatsächlich heute morgen geheiratet und ist anschließend nach Paris gefahren.«
»Würden Sie so freundlich sein und mir auch den Namen der Dame verraten? Das ist doch schließlich das Wichtigste!« Jackson lächelte. »Sie wissen ja, unsere Leser interessieren sich sehr für Millionäre und ihre Frauen.«
Gold zögerte. Seiner Meinung nach wäre es besser gewesen, wenn die Presse nichts davon erfahren hätte, aber anderseits konnte der Reporter den Namen jederzeit im Standesamtsregister finden.
»Er hat sich mit Miss Verity Maple verheiratet.«
Der Reporter pfiff leise vor sich hin.
»Das ist doch nicht etwa die Nichte des Mannes, der …«
»Ja - aber diese Geschichte können Sie bei Ihrem Bericht ruhig vergessen.«
Jackson steckte sein Notizbuch wieder in die Tasche.
»An Miss Maple erinnere ich mich noch recht gut. Ich habe sie an dem Tag gesehen, an dem ihr Onkel auf so geheimnisvolle Weise verschwand.«
Sie standen immer noch auf der Treppe. Inzwischen ging Helder unten auf und ab und wartete ungeduldig auf das Ende der Unterhaltung.
»Ich danke Ihnen für Ihre liebenswürdige Auskunft«, sagte der Reporter und wollte eben weggehen, als ein Ausruf Helders seine Aufmerksamkeit erregte.
Helder starrte an ihm vorbei zu einem der Wohnzimmerfenster hinauf.
»Sehen Sie - dort!« rief er aufgeregt.
Gold blickte in die angegebene Richtung und war starr vor Staunen.
Am Fenster stand Verity Bell - ihr Gesicht drückte Angst, fast Schrecken aus. Geistesabwesend sah sie auf die Straße hinunter. Das Licht einer Straßenlaterne fiel voll auf ihr bleiches Gesicht. Dann bemerkte sie die drei Männer und trat schnell ins dunkle Zimmer zurück.
»Haben Sie das gesehen?« fragte Helder atemlos.
Er schien durch diese Entdeckung tief betroffen zu sein. Auch Golds Atem ging schneller, und kalter Schweiß trat auf seine Stirn. Etwas Unheimliches lag in der plötzlichen Erscheinung dieser Frau, die seiner Ansicht nach längst auf dem Kontinent sein mußte.
Er stand unentschlossen am Fuß der Treppe und machte eine Bewegung, als ob er wieder hinaufsteigen wollte, ließ es aber dann doch sein.
Der Reporter blickte von einem zum andern, seine Augen blitzten vor Erregung. Er witterte eine interessante Geschichte für seine Zeitung, und kein Mensch hätte ihn mehr davon abbringen können, sich auf die Sache zu stürzen. Gold wußte das, trotzdem legte er die Hand auf den Arm des Mannes und redete eindringlich auf ihn ein.
»Mr. Jackson, diese Angelegenheit sollte nicht in die Zeitung kommen. Ich bin davon überzeugt, daß es eine Erklärung für das unerwartete Auftauchen von Mrs. Bell gibt.«
»Sicher wird sich eine
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