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0069 - Das Gericht der Toten

0069 - Das Gericht der Toten

Titel: 0069 - Das Gericht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Wolf Sommer
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nach der Geburt in Watte gepackt und seitdem keimfrei ernährt hätte.
    Er machte den Freund auf diese Feststellung aufmerksam. Aber er sagte Bill damit nichts Neues, denn auch der war bereits zu dieser Erkenntnis gekommen.
    Sie hatten sich jetzt dem Felsentor weitgehend genähert. Aber sie konnten nicht hindurch blicken. Ein rötlich flimmernder Lichtvorhang versperrte die Sicht.
    Als sie noch näher herankamen, erkannten sie, daß es sich um eine Feuerlohe handelte. Aber das Feuer war kalt, verbreitete keine Hitze, nicht einmal Wärme.
    Sie wollten stehenbleiben, wollten das Phänomen erst einer Überprüfung unterziehen. Diese Absicht konnten sie jedoch nicht verwirklichen. Sie hatten keinen Einfluß auf ihre Füße, die wie selbstständige Wesen, jeder bewußten Kontrolle entzogen, weiterschritten, als würden sie von unsichtbaren Fäden gezogen.
    Zamorra und Bill nahmen es hin, ohne dagegen anzugehen. Sie wußten, daß sie in dieser Welt Gesetzmäßigkeiten unterlagen, auf die sie keinen Einfluß ausüben konnten. Alles war vorbestimmt – die Materialisation aus dem Nichts, der zwangsmäßige Marsch durch die Felsenhalle, das Durchschreiten des kalten Feuervorhangs. Den Toten blieb keine Wahl, sie mußten gehorchen.
    Trotzdem war ihnen nicht sehr wohl, als sie in die Waberlohe hineinschritten. Zuckende Flammen, kalt wie Eis, umspielten sie wie die Wellen eines roten Ozeans, in dem sie unterzugehen glaubten.
    Sie hatten das Gefühl, über Glas zu gehen, das jeden Augenblick unter ihnen zerbrechen konnte und sie in einen unendlichen Abgrund stürzen lassen würde.
    Dann, von einem Herzschlag zum anderen, waren sie hindurch.
    Strahlende, gleißende Helligkeit empfing sie. Leuchtende Farben überall, sinnverwirrend, blendend, prächtig und schrecklich zugleich.
    Sie blieben stehen. Nicht weil ihre Füße sie dazu zwangen, sondern aus eigenem Antrieb. Sie waren auf einmal wieder in der Lage, die Herrschaft über ihre Glieder selbst auszuüben.
    Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an den wirbelnden Licht- und Farbenzauber. Details schälten sich heraus, fügten sich zu Szenenausschnitten und schließlich zu einem Gesamtbild zusammen.
    Es war ein atemberaubendes Bild, ein furchteinflößendes Bild, dem aber auch das Majestätische und Großartige nicht fehlten.
    Das Totengericht des Osiris!
    In der Mitte saß der Totengott selbst, auf einem federgeschmückten Thron aus purem Gold, über und über mit Smaragden, Rubinen und zahllosen anderen Edelsteinen besetzt.
    Osiris war eine erschreckende Erscheinung. Am ganzen Körper in Bandagen eingewickelt, eine lebende Mumie. Sein Gesicht, menschlich und doch auf geheimnisvolle Weise unmenschlich, leuchtete giftgrün. Riesengrüne Augen von unergründlicher Tiefe zogen die Betrachter in ihren Bann. Auf dem Kopf trug er die Pharaonenkrone beider Reiche.
    Ringsum Osiris gruppierten sich zahlreiche furchtbare Gestalten.
    Menschliche Körper mit Tier- und Phantasieköpfen.
    Schakale mit raffenden Aaszähnen, züngelnde Schlangen, Stiere mit nadelspitzem Hörnern, tückisch blickende Katzen, Krokodile mit mordgierig aufgerissenen Rachen…
    Schattenfresser, Flammenauge, Blutspeier…
    Die zweiundvierzig Dämonen der Letzten Gerichtsbarkeit.
    Jeder von ihnen schwang ein gewaltiges edelsteingeschmücktes Messer in der Hand, bereit dem Abzuurteilenden seine ewige Strafe zuzuteilen.
    Zwei Gestalten traten jetzt an Zamorras und Flemings Seite.
    Strengblickende Frauen in enganliegenden schwarzen Gewändern.
    Sie ergriffen die beiden Neuankömmlinge an der Hand, führten sie vor den Thron des Totengottes und verschwanden wieder im Hintergrund.
    Die unheimlichen Augen des Osiris richteten sich auf Zamorra und Bill, die sich unter diesem alles ergründenden Blick klein und winzig vorkamen.
    Der Gott streckte eine seiner bis zu den Fingerspitzen bandagierten Hände aus, machte damit eine kreisende Bewegung und hielt plötzlich eine Papierrolle in den Fingern.
    Jenen Endlos-Streifen, den Bill und der Professor in Flemings living room mit Selbstbeweihräucherungen präpariert hatten!
    Osiris maß sie prüfend von oben bis unten und vertiefte sich dann in ihr Totenbuch. Er schien den gesamten Inhalt mit einem einzigen Blick umfaßt zu haben, denn schon eine gute Sekunde später blickte er wieder auf.
    Dann sprach er zu ihnen, mit lauter dröhnender Baßstimme.
    »Was hier geschrieben steht, ist die Wahrheit? Nichts als die reine Wahrheit?«
    »Ja!« antworteten Zamorra und Bill wie aus einem

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