Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0069 - Das Gericht der Toten

0069 - Das Gericht der Toten

Titel: 0069 - Das Gericht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Wolf Sommer
Vom Netzwerk:
Toten einkehrst, dann kehre ich ebenfalls dort ein«, war seine Rede gewesen.
    Zamorra war es nicht gelungen, ihn von seinem Vorsatz abzubringen.
    Und dann war es soweit. Die lange Reise in den Herrschaftsbereich des Osiris konnte beginnen.
    Ort der Beschwörungszeremonie Bills living room. Die Magie war an keine bestimmten Lokalitäten gebunden. Zamorra und Bill hatten sich auf den Teppich gekauert, die Augen in Richtung Westen orientiert. Zu ihren Füßen lagen, den alten Traditionen folgend, Eßwaren – Brot, Käse, Obst, Wein. Auf einem Endlospapier-Streifen hatten die beiden Männer ihre Tugenden und großen Taten festgehalten.
    Umgeben wurde das ganze Arrangement von einem schwarzen Kreis, den sie mit Kohle auf den Teppich gezeichnet hatten. Mit Kohle, der Zamorra zuvor mit von Sekere erlernten Beschwörungen und seinem Amulett magische Kräfte verliehen hatte.
    Die beiden Männer waren völlig entspannt, hatten sich in eine Art Selbsthypnose versetzt. Und Zamorra begann, die eigentliche Beschwörungsformel zu sprechen, die für sie die Ewigkeit der drei Tage und Nächte Wirklichkeit werden lassen würde.
    Es war ein unheimliches Gefühl für sie beide. Müdigkeit fuhr in ihre Körper wie eine lähmende Droge. Die Glieder wurden schwer, schwerer noch als Blei. Sie spürten, wie alles in ihnen abstarb, wie sich das Blut verdickte, zuerst noch ganz träge durch ihre Adern und Venen floß, dann ganz zum Stillstand kam. Sie spürten, wie das Pochen ihrer Herzen schwächer wurde, schließlich ganz aufhörte.
    Dunkelheit kehrte ein in ihr Bewußtsein. Erinnerungsbilder zerfielen in gegenstandslose Fetzen, verblaßten, schwanden ganz dahin.
    Nichts war mehr!
    ***
    Sie lebten.
    Sie dachten, fühlten, sahen. Ihre Körper hatten sich nicht verändert, waren wie immer. Dieselben Muttermale, dieselben unverkennbaren Zeichen, die sie von allen anderen unterschieden.
    War überhaupt irgend etwas geschehen?
    Nicht eine Sekunde zweifelten sie daran. Mit unumstößlicher Sicherheit wußten sie es: Sie waren tot!
    Nicht ihre sterblichen Körper waren es, in denen ihr Geist jetzt ruhte. Ihr Kaa war es, in dem der Geist ein neues Zuhause gefunden hatte.
    Ihr Kaa – ein genaues Ebenbild ihres Körpers. Geschaffen nicht für das Diesseits, sondern für das Jenseits.
    Und sie waren jetzt im Jenseits.
    Im Totenreich des Osiris, des Gottes der altägyptischen Unterwelt.
    Sie standen in einer riesigen Halle, die von diffusem gelblichen Licht erleuchtet wurde. Eine sichtbare Lichtquelle gab es nicht. Die Halle war so hoch, daß sie die Decke nicht sehen konnten. Rechts und links, vor und hinter ihnen, türmten sich Felswände auf, schroff und schwarz wie die ewige Nacht. Geradeaus, in einer nur schwer abschätzbaren Entfernung, erkannten sie ein großes Loch, das wie ein Tor in den Felsen gähnte.
    Zamorra und Bill – die Kaas Zamorras und Bills – sahen sich an.
    »Wir haben es geschafft!« sagte Zamorra.
    Er sprach in einer Sprache, die er nicht kannte, die er nie gelernt hatte und die er doch beherrschte, als hätte er nie eine andere gesprochen.
    Es war die Sprache der Toten, die jedem Kaa von Natur aus mitgegeben war.
    »Ja, wir haben es geschafft«, sagte auch Bill. »Komisches Totenreich. Sieht so verdammt normal aus. Diese Felsenhalle könnte irgendwo in Amerika oder Europa liegen.«
    »Vielleicht ist die Welt des Osiris ebenfalls ein Ebenbild unserer Welt? So wie der Kaa ein Ebenbild des irdischen Körpers ist?« antwortete der Professor sinnend.
    Während sie noch sprachen, hatten sie sich in Bewegung gesetzt.
    Ohne eigenen Antrieb stellten sie, einem Zwang folgend, Fuß vor Fuß, gingen sie zielstrebig auf das Tor in den Felsen zu.
    Sie sprachen jetzt nicht mehr, versuchten mit sich selbst und ihrer neuen Existenz ins reine zu kommen.
    Bill hat recht, dachte Zamorra. Er spürte kaum einen Unterschied zu seinem bisherigen Dasein im Diesseits.
    Nur daß er nackt war, in einer unbekannten Sprache redete – und dachte – und sich fühlte wie neugeboren.
    Und noch einen Unterschied gab es zu seinem normalen menschlichen Körper.
    Die nicht durch den natürlichen Alterungsprozeß hervorgerufenen Veränderungen und Beeinträchtigungen des Körpers besaß der Kaa nicht. Die Blinddarmnarbe, die Rißwunde an der Wange, die ihm die rasende Nicole im Hilton zugefügt hatte, andere Stempelabdrücke des Lebens mehr – all dies fehlte. Der Kaa präsentierte sich so, wie sich der Körper wohl präsentieren würde, wenn man ihn sofort

Weitere Kostenlose Bücher