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009 - Der Engel von Inveraray

009 - Der Engel von Inveraray

Titel: 009 - Der Engel von Inveraray Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karyn Monk
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die behelfsmäßige Ausstellung schweifen. „Hier ist kein Platz mehr, also müssen wir den Rest im Esszimmer aufstellen ..."
    „Was in aller Welt macht ihr hier?" fragte eine erstaunte Stimme.
    Haydon krampfte sich das Herz zusammen, als er Genevieve auf der Schwelle stehen sahen.
    Das rotgoldene Haar, das in der Nacht zuvor wie warme Seide über seine Hände und sein Kopfkissen geflossen war, hatte sie nun streng hochgesteckt, und das dunkle, hochgeschlossene Kleid, das sie trug, hätte der eindrucksvollsten Matrone auf einer Beerdigung gut zu Gesicht gestanden. Hätte er ihre glühende Leidenschaft nicht am eigenen Leib erfahren, würde er glauben, sich in Gegenwart einer jungfräulichen Nonne zu befinden. Genevieves Teint war bleich, und die dunklen Ringe unter ihren Augen ließen vermuten, dass auch sie eine schlaflose Nacht verbracht hatte. Er wusste, dass es sie große Überwindung gekostet hatte, in den Salon hinunterzukommen und ihn zu treffen, und er hatte nicht den Wunsch, es ihr noch schwerer zu machen. Alles, was er erstrebte, war, ihr und ihrer Familie ein wenig Sicherheit und Erleichterung zu verschaffen.
    Sobald er sicher sein konnte, dass sie ihr Zuhause nicht verlören, würde er gehen, um keinen von ihnen weiterhin der Gefahr auszusetzen.
    „Seine Lordschaft hier meint, er könne Käufer für Ihre Bilder finden", sagte Doreen aufgeregt.
    Oliver kratzte sich zweifelnd den weißen Schopf. „Ich vermute, sie sind um einiges besser als die Schmierereien, die einige Leute sich an die Wand hängen."
    „Wenigstens sind die Menschen auf ihnen anständig bekleidet." Eunice ließ den Blick wohlwollend über die Gemälde schweifen. „Man könnte sie überall aufhängen, ohne sich schämen oder sie mit einem Tuch verhüllen zu müssen, wenn Damen oder Kinder in der Nähe sind."
    „Wenn Haydon genug davon verkauft, können wir der Bank ihr Geld zurückzahlen und brauchen uns keine Sorgen zu machen, dass wir auf der Straße landen", fügte Jamie fröhlich hinzu. „Ist das nicht wunderbar?"
    Genevieve trug frostige Gelassenheit zur Schau, als sie Haydon anguckte. Sie war so lange wie möglich in ihrem Zimmer geblieben, um Kraft für die Begegnung mit ihm zu sammeln. Sie durfte sich die Scham über die Vertraulichkeiten nicht anmerken lassen, die sie in der Nacht zuvor ausgetauscht hatten. Als sie jedoch sah, wie er mit scharfem Kennerblick ihre kostbaren Bilder begutachtete, die der Rest des Haushalts offenbar auf sein Geheiß hin hervorgeholt und im ganzen Haus verteilt hatte, bröckelte ihre kühle Fassade.
    „Warum tun Sie das?" fragte sie in scharfem Ton.

    „Weil wir einen Weg finden müssen, Ihre Schulden bei der Bank zu begleichen", entgegnete Haydon. „Ich habe mir all die anderen Dinge angeschaut, die im Keller lagern, und leider ist nichts wirklich Wertvolles darunter. Ihre Bilder allerdings sind ausgesprochen gelungen. Ich glaube, wenn wir eine Galerie dazu bewegen können, Ihr Werk auszustellen, werden Sie genug Gemälde verkaufen, um einen Großteil Ihrer Schulden zu tilgen."
    „Meine Arbeiten sind nicht gut genug zum Verkauf", erklärte Genevieve und fühlte sich gleichzeitig bloßgestellt und erniedrigt. Ihre Bilder waren sehr persönlich, und sie gab sich keinen Illusionen über deren Wert hin. „Es sind nur Kinderporträts, kleine Stillleben und Landschaftsbilder. Wer sollte sich so etwas anschaffen wollen?
    Die Leute bevorzugen Gemälde mit großartigen, heroischen Motiven."
    „Außer, es sind nackte Damen darauf zu sehen", piepste Jamie. „Das scheinen die Leute zu mögen."
    „Na, na! Jetzt ist aber Schluss mit dem Gerede!" schimpfte Eunice.
    „Ich glaube, Sie irren sich, Genevieve", entgegnete Haydon. „Mehr und mehr Künstler nehmen Abstand davon, Götter, Helden und gewalttätige Szenen aus Geschichte und Mythologie darzustellen. Ihre Gemälde zeigen Szenen aus ihrem Leben - schlichte, besinnliche, flüchtige Augenblicke, mit denen viele Menschen etwas anfangen können. Noch dazu schwingt viel Gefühl in ihnen mit. Kein Betrachter kann sich dem Bann Ihrer Bilder entziehen, denn sie lösen unweigerlich gewisse Empfindungen in ihm aus."
    Genevieve blickte Haydon zweifelnd an und fragte sich, ob er seine Worte ernst meinte. Tief in ihrem Innern gefiel ihr der Gedanke, dass er ihre Bilder betrachtet hatte und mehr in ihnen sah als die gefällige Arbeit einer Frau, der es Freude machte, ab und zu ein wenig den Pinsel zu schwingen. Sie hatte gezeichnet und gemalt, solange sie

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