009 - Der Engel von Inveraray
es Haydon tatsächlich gelungen war, sich der Angreifer zu erwehren, die er gedungen hatte, ihn umzubringen, war Vincent außer sich vor Zorn gewesen. Schließlich hatte er sich mit der Vorstellung getröstet, dass der Tod am Galgen ein ebenso passendes Ende für diesen brünstigen Schurken war. Dass Haydon wie ein gewöhnlicher Verbrecher vor Gericht gezerrt und des Mordes für schuldig befunden worden war, hatte ihn sehr gefreut. Auch der Gedanke, wie er wochenlang in einer stinkenden, schmutzigen Kerkerzelle schmachten würde, vom Abschaum der Gesellschaft umgeben, misshandelt und geschlagen, und dabei vergeblich seine Unschuld beteuerte, war Vincent äußerst angenehm gewesen. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, nach Inveraray zu reisen, um der Hinrichtung beizuwohnen, war dann jedoch zu dem Schluss gekommen, dass diese ganze elende Angelegenheit besser ohne sein Beisein ihr Ende fand. Er hatte Haydons Tod gewollt, jedoch kein zwingendes Verlangen danach verspürt, ihn sterben zu sehen.
Er hatte nichts weiter gewollt als Vergeltung für die unsägliche Erniedrigung und das Leid, das der Marquess ihm so leichtfertig zugefügt hatte. Es hatte einer gehörigen Geldsumme und einiger geheimer Absprachen bedurft, doch schließlich war Vincent überzeugt gewesen, sowohl sein Geld, als auch seine Zeit gut angelegt zu haben.
Was er nicht erwartet hatte, war, dass Haydon dem Tod ein zweites Mal entrinnen würde.
Die Vorstellung, dass es dem Liebhaber seiner verstorbenen Frau gelungen war, der eisernen Hand des Gesetzes zu entkommen, ließ ihm keine Ruhe. Nachdem er eine Weile ungeduldig darauf gewartet hatte, dass man ihn fasste, war Vincent schließlich klar geworden, dass ihm keine andere Wahl blieb, als die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Er war nach Inveraray gereist und hatte Mr. Timmons angeheuert, einen erfahrenen Detektiv, dessen Diskretion, wie fast alles, käuflich war ... zumindest für eine gewisse Zeit. Es war Mr. Timmons ein Leichtes gewesen, Auskünfte über Haydons Gerichtsverhandlung und seinen Gefängnisaufenthalt einzuholen.
Besonders bemerkenswert erschien Vincent die Tatsache, dass eine hübsche, wohlmeinende alte Jungfer der letzte Mensch war, der den Marquess vor seiner Flucht in seiner Zelle besucht hatte. Dem Wärter zufolge, der sein Wissen nach ein paar Runden Ale bereitwillig mit Mr. Timmons geteilt hatte, hatte Seine Lordschaft in der Nacht seiner Flucht kaum besser ausgesehen als ein schmutziger, heruntergekommener Bettler. Vincent argwöhnte, dies könne die außergewöhnlich großherzige Miss MacPhail nicht abgeschreckt haben. Der Marquess of Redmond hatte stets das Talent besessen, Frauen zu bezaubern und zu verführen, ganz gleich, unter welchen Umständen. Deshalb war es ihm auch gelungen, zwischen die Schenkel seiner reizenden Cassandra zu schlüpfen.
Der Viscount nahm einen weiteren Schluck von dem billigen Sherry.
Die Erniedrigung, die er durch die Affäre seiner Frau erfahren hatte, schmerzte und erzürnte ihn noch immer. Er rief sich in Erinnerung, dass Cassandra ein selbstsüchtiges, verwöhntes Luder gewesen war, und er froh, sie los zu sein, als sie vor zwei Jahren starb, nachdem ein Quacksalber von einem Arzt versucht hatte, den Ableger ihres jüngsten Liebhabers aus ihrem Leib zu schaben. Seit Emmalines Geburt acht Jahre zuvor hatte ihm seine zerrüttete Ehe kein Kopfzerbrechen mehr bereitet.
Mit der wundersamen Ankunft des kleinen Mädchens hatte alles andere in seinem Leben mit einem Male an Bedeutung verloren.
Als er erfahren hatte, dass Cassandra nach mehr als sechsjähriger Ehe endlich schwanger war, hatte er ungeniert auf einen Sohn gehofft. Ein Sohn würde seinen Titel und seinen Besitz erben und einen bleibenden Eindruck in der Welt hinterlassen. Als man ihm die kleine Emmaline eine Stunde nach ihrer Geburt in sein Arbeitszimmer gebracht hatte, schreiend und mit dunkelrot angelaufenem Gesicht, war er zunächst zutiefst enttäuscht gewesen. Er hatte versucht, sie auf der Stelle der Hebamme zurückzugeben, doch die völlig erschöpfte Frau hatte gesagt, sie müsse dringend etwas für seine Gattin besorgen, und war aus dem Zimmer geeilt. So war er gezwungen gewesen, Emmaline eigenhändig die lange Treppe zum Schlafzimmer seiner Frau hinaufzutragen. Irgendwo auf dem Weg hatte Emmaline zu schreien aufgehört und sich zufrieden in seine Arme geschmiegt. Sie hatte ihre blauen Augen geöffnet und ihn mit ruhiger Zufriedenheit betrachtet, als wolle sie ihm zu
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