0098 - Im Labyrinth der grünen Henker
gehabt.
»Ich weiß nicht«, sagte Zamorra. »Irgend etwas stimmt hier nicht.«
Er griff an die weiße Hemdbrust. Doch sein silberner Talisman, das Amulett des Leonardo de Montagne, lag im Koffer im Hotel. Zamorra hatte lediglich vorgehabt, mit Joao da Costa ein erstes Informationsgespräch zu führen, und dabei auf sein dämonenbannendes Amulett verzichtet.
Jetzt hätte er es gern dabeigehabt. Er spürte ein Kribbeln auf der Haut. Er merkte deutlich, daß etwas in der Luft lag. Auch Joao da Costa mußte es spüren. Er gestikulierte heftig und rief Zamorra und die ändern herbei.
»Los, ins Stadion!« kommandierte er. »Professor Zamorra, Sie und Ihre beiden Begleiter halten sich zurück. Bleiben Sie am Rand des Spielfelds, was immer auch geschieht.«
»Erwarten Sie etwas Bestimmtes?« wollte Zamorra wissen.
»Cumbacho«, antwortete da Costa nur.
Er eilte an der Kasse vorbei und durch den Gang unter der Tribüne, den Neonröhren, die von Gittern geschützt waren, erhellten. Auf der Tribüne und auf den Stehplätzen drängten sich die Macumba-Anhänger. Weiße, Mulatten und Neger, Männer und Frauen, auch viele Kinder. Angehörige aller Bevölkerungsschichten vom Millionär mit weißer Smokingjacke und seiner Gattin mit Schmuck und Abendkleid bis zum zerlumpten Slumbewohner.
Vor den Macumba-Göttern waren sie alle gleich. Die Zuschauer wiegten sich im Rhythmus der Trommeln. Manche zuckten ekstatisch.
An den vier Ecken des Spielfeldes mit den beiden Fußballtoren standen brennende Ölfässer. Sie erzeugten die Rauchschwaden, die Zamorra von draußen gesehen hatte. In der Mitte des Spielfeldes standen auf einer Holztribüne überlebensgroß die Statuen der Macumba-Gottheiten Ogun, Bara und Jara.
Wie im Versammlungsraum von da Costas Villa, war Ogun auch hier als schwarzgesichtiger Ritter zu Pferd, Bara als Geflügelter mit Wanderstab und Jara als Schönheit mit Strahlenkrone dargestellt. Rund um die Tribüne lagen Opfergaben auf weißen Tüchern. Ziegenböcke, Hähne und Tauben, deren Beine zusammengebunden waren und die noch lebten, und auch getötete Opfertiere, die alle keinen Fehler und kein Makel aufweisen durften. Maiskolben und -körner, Tuchballen, Geld, Schmuck, Blumen und Kleidungsstücke.
Der Trommelklang dröhnte über die Lautsprecher. Am Rand des Spielfelds standen und saßen Trommler, die meisten davon Neger, mit nackten, schweißüberströmten Oberkörpern. Tänzerinnen mit bloßen Brüsten ruckten und zuckten zum Trommelklang.
Bei der Tribüne standen zwanzig Macumba-Priester und -Priesterinnen in verschiedenfarbigen langen Umhängen. Manche trugen Kopfbedeckungen, spitze, mitraartige Hüte oder Zylinder, andere waren barhäuptig. Auf der Tribüne standen ein schwarzer Macumba-Priester mit dunkler Hose und flammendrotem Hemd und eine Priesterin in engem gelbem Kleid, mit schwarzen Haaren. Sie hielt das Mikrophon in den Händen und stimmte jetzt eine Litanei zu Ehren Oguns, Baras und Jaras an. Am Rand des Spielfelds legte Joao da Costa in aller Eile sein Gewand und die goldene Kette an und setzte die Kopfbedeckung auf. Den silbernen Stab, der einem Zepter glich, hielt er in der Hand.
»Bleiben Sie hier!« sagte er zu Zamorra und ging eilig zu der Tribüne.
Castelo Kubitschek, da Costas Assistent und Leibwächter, blieb zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was für eine Feier findet hier statt?« fragte Zamorra auf Englisch.
Diese Sprache verstand Kubitschek, und er sprach sie gut.
»Das Übliche«, antwortete er. »Die Götter erhalten Opfer, und jeder kann seine Anliegen Vorbringen. Im stillen oder auch laut. Später können alle, die es wollen, auf dem Spielfeld zu Ehren der Götter tanzen. Oft fährt der Geist Oguns, Baras oder Jaras in einzelne Menschen oder sogar in ganze Gruppen. Dann haben die Visionen und machen Weissagungen, oder sie erleben das Glück des Paradieses.«
»Aha«, sagte Zamorra. Ein Mummenschanz, hätte er beinahe hinzugefügt, Volksverdummung. Doch er spürte, daß mehr dahintersteckte als Autosuggestion und Massenpsychose. »Treten die Götter auch persönlich auf?«
»Das ist noch nie geschehen. Aber manchmal kann man sie bei Seancen sehen, wenn man vorher tagelang gefastet und meditiert hat.«
Zamorra schaute sich um. Erfrischungen und Imbisse wurden von Verkäufern feilgeboten, die sich durch die Menge drängten. Aus mitgebrachten Flaschen floß der Zuckerrohrschnaps in Strömen. Das Ganze hatte den Charakter eines Volksfestes und einer
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