0098 - Im Labyrinth der grünen Henker
ein Weißer, Ende zwanzig, mittelgroß und breitschultrig. Er trug einen zerknautschten hellen Anzug und ein am Hals offen stehendes Hemd.
Er mußte einen Ober gefragt haben, denn er kam zielstrebig an Zamorras Tisch.
»Monsieur Professeur Zamorra?« fragte er in holprigem Französisch. »Bitte folgen Sie mir, Sie werden erwartet.«
Zamorra nickte und erhob sich. Er winkte den Ober herbei und zahlte das Essen und die Getränke.
»Señorita Duval und Señor Fleming begleiten mich«, sagte er in fast akzentfreiem Portugiesisch, der Landessprache. »Haben sie einen Wagen da, Señor?«
»Selbstverständlich.«
Der Wagen stand unten vor dem Hotel. Es war ein schon angejahrter Buick. Der Fahrer ließ ihn abzischen wie eine Rakete und hinterließ eine Wolke stinkenden Auspuffqualms. Zamorra, Nicole und Bill Fleming wurden in die Sitze gepreßt.
Der Fahrer, der junge Mann, der sie aus dem Dachrestaurant des Hotels geholt hatte, nahm die Kurven wie ein Rennfahrer. Zweimal überfuhr er rote Ampeln.
Zamorra saß auf dem Beifahrersitz. Er tippte dem Nachwuchs-Rennfahrer auf die Schulter.
»Wir möchten in einem Stück ankommen, Señor. Beachten Sie wenigstens die roten Ampeln.«
Der Fahrer winkte mit der Rechten lässig ab. Mit der Linken riß er den Wagen um eine Kurve, daß die Reifen quietschten.
»Ich habe Bara geopfert, dem Gott der Wege. Uns passiert nichts. Außerdem weiß ich, bei welchen roten Ampeln ich durchfahren kann, und bei welchen ich anhalten muß.«
»Und woher wissen Sie das?«
»Aus Erfahrung. Ich bin hauptberuflich Taxifahrer.«
Zamorra sagte nichts mehr. Der Buick hatte Copacabana hinter sich gelassen und fuhr auf der Avenida Brasil in Küstennähe entlang. Früher hatte es hier ausgedehnte, mit Kloakenprodukten gedüngte Felder gegeben. Jetzt waren sie verschwunden, doch dafür hatten sich chemische Fabriken und Abdeckereien breitgemacht, die auch nicht besser rochen.
Der Buick bog erst nach mehreren Meilen von der Avenida Brasil ab. Der Fahrer brachte Zamorra, Nicole und Bill Fleming zu einer Kolonialstil-Villa in der Rua Tenente Palestrina im Stadtteil Cordovil. Die Villa war schon alt, ihre Mauern von Efeu überwuchert.
Der Fahrer brachte die drei Besucher ins Haus. Hier erwartete sie ein kleiner Mann. Obwohl es sehr warm war und eine hohe Luftfeuchtigkeit herrschte, trug er einen dunklen Anzug und eine dunkle Krawatte. Ein großer Neger und ein Weißer mit buntem Hemd standen hinter ihm.
»Professor Zamorra, ich begrüße Sie«, sagte der kleine Mann in einwandfreiem Englisch. »Mein Name ist Joao da Costa. Ich bin der oberste Macumba-Priester von Rio de Janeiro. — Aber wollten Sie nicht allein kommen?«
»Meine beiden Begleiter sind meine Vertrauten«, antwortete der hochgewachsene, schlanke Parapsychologe. »Ich habe keine Geheimnisse vor ihnen, und auch Sie können ihnen vertrauen, Señor da Costa. Miß Nicole Duval und Mr. Bill Fleming interessieren sich wie ich sehr für den Macumba-Kult.«
Der kleine Mann verbeugte sich und gab den Besuchern die Hand. Er stellte den Neger und den Weißen mit dem bunten Hemd vor. Sie hießen Eusebio Peraz und Castelo Kubitschek. Sie waren da Costas Assistenten, Helfer, Diener und Leibwächter zugleich.
Unter dem Jackett des Negers steckte eine Schußwaffe in der Schulterhalfter. Der Weiße trug einen Revolver in der Klemmhalfter innen im Hosenbund.
»Ich will Ihnen die Räumlichkeiten zeigen«, sagte da Costa und schickte den Fahrer mit einer Handbewegung weg. »Im Erdgeschoß des Hauses gibt es zwei Versammlungsräume. Die Wohnräume und die Arbeitszimmer befinden sich im ersten und zweiten Stock.«
Der eine Versammlungsraum war groß genug, um hundertfünfzig bis zweihundert Personen zu fassen. Der andere war für etwa dreißig Personen gedacht. Die Macumba-Anhänger konnten auf Holzbänken sitzen. Vorn war eine freie Fläche. Im kleinen Versammlungsraum standen drei Holzfiguren auf einem Tisch.
Drei Altäre standen im großen Versammlungsraum. Vor den Opferstätten brannten verschiedenfarbige Kerzen.
»Weiße Kerzen sind für allgemeine Bitten, für Familienangelegenheiten und Geschäfte«, erläuterte da Costa. »Rote für Liebesdinge oder um jemand an sich zu erinnern. Grüne Kerzen werden für die Gesundheit angezündet, und gelbe bei weiten Reisen oder Sonderfällen.«
»Und was bedeuten die schwarzen Kerzen?« fragte Nicole Duval.
»Eine schwarze Kerze entzündet man, wenn man jemandem etwas Böses wünscht«, antwortete der
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