01 Arthur und die vergessenen Buecher
zu müssen, war nicht besonders einladend.
Der Bücherwurm bemerkte mein Zögern. Er seufzte. »Ich weiß, Larissa ist nicht ganz einfach. Ein Großvater ist kein Ersatz für die Eltern, und ich fürchte, ich habe ihr nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die sie benötigt hat. Aber im Grunde ihres Herzens ist sie ein liebes Mädchen. Sie ist nur ein wenig einsam.«
Was sollte ich tun? Konnte ich sein Angebot, das doch zugleich eine Bitte um Hilfe war, ausschlagen? Natürlich nicht. Der Alte streckte mir seine Hand entgegen, und ich schlug ein.
So wurde ich zum Mitarbeiter (und zeitweiligen Mitbewohner) des Bücherwurms. Er redete mit meinen Eltern, und die hatten nichts dagegen einzuwenden. Zunächst waren es nur drei Wochen in den Sommerferien, die ich bei ihm wohnte und arbeitete, doch schon im zweiten Jahr kamen die Osterferien dazu und danach die Herbstferien.
Auch wenn ich Larissa meistens aus dem Weg ging, so konnte ich doch nicht vermeiden, ihr dann und wann über den Weg zu laufen. Sie nutzte diese Gelegenheiten, um mich in ihr Zimmer zu zerren und mir ihre neuesten Erkenntnisse mitzuteilen.
Deshalb begann ich mir immer neue Geschichten auszudenken, warum ich ihr gerade jetzt nicht folgen konnte. Zu Anfang täuschte ich kleinere Wehwehchen vor, unter denen ich litt und die dringend der Behandlung/Pflege/Ruhe bedurften. Dann ergänzte ich die Palette um wichtige Verpflichtungen, denen ich nachkommen musste, also Briefe schreiben, Anrufe tätigen oder E-Mails beantworten, und rundete mein Repertoire schließlich ab mit Stimmungstiefs wegen schwer erkrankter Tanten oder Omas.
Eine Zeit lang funktionierte das ganz gut, aber irgendwann kam Larissa mir doch auf die Schliche.
»Du würdest einen wirklich guten Autoverkäufer abgeben«, sagte sie eines Tages, als wir gemeinsam beim Abendessen um den Tisch saßen.
Ich blickte von meinem Brot auf, das ich gerade mehrlagig mit Wurst und Käse bestückt hatte.
»Wieso das denn?«, fragte ich unschuldig.
»Weil du den Leuten alles verkaufen kannst. Ich bin ja auch ziemlich lange darauf reingefallen.«
Der Bücherwurm sah mich fragend an. Ich konzentrierte mich auf mein Brot. »Ich weiß gar nicht, wovon du redest.«
»Na komm schon, ich bin dir ja nicht böse deshalb. Das sollte eigentlich ein Lob sein.«
Vorsichtig hob ich meinen Kopf. Larissa grinste mich an. »Hätte ich dir gar nicht zugetraut. Man soll eben niemanden unterschätzen.«
Das klang nicht wirklich wie ein Lob, aber ich ließ es dabei bewenden. Der Bücherwurm lächelte: »Arthur hat ein Talent, über das alle großen Betrüger und Schriftsteller verfügen. Er kann Geschichten erzählen. Und wenn man es näher betrachtet, dann sind doch alle Schriftsteller Schwindler, findet ihr nicht auch?«
Nach diesem Vorfall blieb ich möglichst lange im Buchladen; entsprechend weniger Zeit musste ich mit Larissa verbringen. Manchmal konnte ich ihren wissenschaftlichen Vorträgen zwar nicht aus dem Weg gehen, aber im großen Ganzen war es eigentlich erträglich. Auf diese Weise verlief mein Leben in ruhigen und geordneten Bahnen.
Bis zu jenem Tag, an dem ein merkwürdiger Besucher alles durcheinanderbrachte.
Der Überfall
Es waren wieder Sommerferien, und wie schon in den beiden Jahren zuvor arbeitete ich als Gehilfe im Laden des Bücherwurms. Arbeit war eigentlich das falsche Wort; ich half ihm beim Auspacken und Einordnen von Büchern, und ab und zu brachte ich ein Buch, das jemand bestellt hatte, dem Käufer nach Hause. Die meiste Zeit des Tages schmökerte ich herum oder lauschte dem Bücherwurm, der mir seine Lieblingsbücher vorstellte. Ich war damals vierzehn Jahre alt.
Eines Tages, es war schon spät am Nachmittag, kam ein merkwürdiger Mann in den Laden. Ich saß auf meinem Stuhl in der Ecke mit den Jugendbüchern und war in eine Abenteuergeschichte aus Afrika vertieft.
Der Neuankömmling war ein hochgewachsener, hagerer Mensch in einem eng geschnittenen schwarzen Mantel. Sein kleiner Kopf pendelte auf einem langen, dünnen Hals hin und her. Er erinnerte mich an einen Vogel, auch durch seine gekrümmte Haltung und die wie Krallen nach innen gebogenen Finger mit ihren langen Nägeln.
Der Mann streifte mich mit einem Blick, der so kalt war, dass ich am liebsten in der afrikanischen Wüste verschwunden wäre, von der ich gerade las. Dann schritt er zielstrebig auf die Theke zu, hinter der der Bücherwurm gerade neue Bücher auspackte, die heute angeliefert worden waren.
»Johann«, schnarrte
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