01 Arthur und die vergessenen Buecher
Eisenstab vorsichtig zur Seite.
»Willst du die Tür öffnen oder bloß streicheln?«, höhnte die Frau. »Jetzt zeig mal, ob du ein Mann bist oder nur ein verkümmerter Bücherwurm!«
Ihr Begleiter presste die Zähne zusammen und schluckte seine Antwort herunter. Er lehnte sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen das Brecheisen, bis ein lautes Knirschen zu vernehmen war.
Die Frau drängte ihn zur Seite und versetzte der Tür einen kräftigen Stoß mit dem Fuß. Knarrend schwang sie auf. Das Innere der Kapelle lag fast vollständig im Dunkel. Durch die schmalen Fensterschlitze tasteten sich zaghaft ein paar Strahlen des Mondlichts herein, die allerdings mehr Schatten als Licht erzeugten.
Der Mann tauschte das Brecheisen gegen die Taschenlampe und knipste sie an. Er ließ den Lichtstrahl durch den Raum vor ihnen kreisen. Viel war nicht zu sehen.
Gegenüber der Eingangstür befand sich der Altar. Davor erstreckten sich zwei Reihen von schlichten Holzbänken, die durch einen schmalen Mittelgang getrennt waren. Die Mauern waren weiß gekalkt. In der Mitte der niedrigen Decke hing ein kleiner Käfig aus Metall, kaum groß genug für einen ausgewachsenen Kanarienvogel.
Beim Anblick des Käfigs lief dem Mann ein Schauer über den Rücken. Er wusste zwar nicht, warum er dort hing, doch die seltsame Anwesenheit dieses Gegenstandes verstärkte sein wachsendes Unbehagen.
Die Stimme seiner Begleiterin riss ihn aus seinen Gedanken. Sie stand bereits neben dem Altar, der aus einem einzigen Felsblock gehauen war.
»Wo bleibst du denn?!«, rief sie ungeduldig. Zögernd folgte der Mann ihr. Als er schließlich den Altar erreicht hatte, kniete die Frau bereits neben dem Steinblock und betastete seine Seiten.
»Leuchte mal her!«, kommandierte sie. Im Licht der Taschenlampe inspizierte sie eine bestimmte Stelle des Altars. Dann lehnte sie sich befriedigt zurück.
»Es ist, wie ich gedacht habe. Nur eine einfache Steinplatte. Los, pack mit an!«
Der Mann steckte die Taschenlampe in eine Schlaufe an seinem Gürtel. In ihrem indirekten Licht sah das Gesicht seiner Begleiterin wie eine verzerrte Maske aus.
»Ich ...«, begann er, aber sie schnitt ihm sofort das Wort ab.
»Jetzt fang nicht wieder an!«, fauchte sie.
»Wir können das nicht tun«, sagte er. »Es ist nicht richtig.«
»Wenn wir jetzt aufhören, dann war alles umsonst!«, rief sie. »Denk nur an die Macht, die wir besitzen werden. Oder die Reichtümer. Keiner wird uns widerstehen können. Keiner!« Ihre Stimme war schrill geworden.
»Aber ...«, hob der Mann an.
»Es gibt kein Aber! Du hast es selbst gesagt: Wer die Vergessenen Bücher besitzt, wird die Welt beherrschen. Jetzt liegt das Erste dieser Bücher nur noch einen Handbreit von uns entfernt und du willst kneifen? Dann hole ich es mir eben alleine!«
Mit diesen Worten legte sie die Hände an die Steinplatte auf dem Altar und begann dagegen zu drücken. Der Mann zögerte einen Moment. Dann packte auch er mit an.
Die Platte war schwer und offenbar seit vielen Jahren nicht mehr bewegt worden, denn sie gab um keinen Zentimeter nach. Einige Minuten war nichts zu hören außer dem angestrengten Ächzen der beiden.
Der Mann wollte schon aufgeben, als sich die Platte mit einem schabenden Geräusch einige Zentimeter bewegte.
»Ha!«, rief die Frau triumphierend und drückte mit neuer Kraft dagegen. Auch ihr Begleiter spürte jetzt, wie ihn das Jagdfieber erfasste. Er mobilisierte seine letzten Kräfte, und gemeinsam gelang es ihnen, die Platte so weit zur Seite zu schieben, um mit einem Arm in die Truhe greifen zu können.
Die Frau zog ihm die Taschenlampe aus der Schlaufe und leuchtete in den Hohlraum. Im Lichtschein erkannten sie eine kleine Holzkiste, die mit zahlreichen goldenen Ornamenten verziert war. Sie stand auf einem Sockel in der Mitte der Truhe.
Der Mann steckte seinen Arm in den Altar und betastete den Sockel, auf dem die Kiste stand.
»Leder!«, rief er. »Das muss es sein!«
Vorsichtig schob er die Holzkiste beiseite und hob den Sockel, der nur wenige Zentimeter hoch war, an. Er brauchte mehrere Versuche, um den Gegenstand durch die schmale Öffnung herauszuziehen. Schließlich lag das lederumwickelte Paket vor ihnen auf dem Altar.
Mit zitternden Fingern klappte die Frau, die die Taschenlampe an ihren Begleiter weitergereicht hatte, das Tuch auseinander. Darunter kam ein großes, in dickes schwarzes Leder gebundenes Buch zum Vorschein. In den Buchdeckel waren eine Reihe merkwürdiger
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