01 Arthur und die vergessenen Buecher
alt, auf jeden Fall war er älter als mein Vater. Er hatte buschiges weißes Haar, das rechts und links von seinem Kopf abstand, und trug eine dicke Brille auf der Nase, hinter der zwei kluge blaue Augen blitzten. Seine braune Cordjacke war an den Ellbogen mit Lederflicken verstärkt und hatte ihr Verfallsdatum schon lange überschritten. Das galt auch für sein ehemals vielleicht weißes Hemd, dessen Kragen deutliche Spuren von Zersetzung aufwies.
Der Bücherwurm und mein Vater kannten sich offenbar, denn sie begrüßten sich freundlich. Mein Vater stellte mich vor, und der Alte kam hinter seiner Theke hervor und schüttelte mir die Hand. Das brachte ihm gleich eine Handvoll Pluspunkte bei mir ein, denn die meisten Erwachsenen nahmen mich entweder gar nicht zur Kenntnis oder bedachten mich nur mit einem Kopfnicken.
Von jenem Zeitpunkt an besuchte ich den Laden des Bücherwurms mehrmals in der Woche. Ab und an kaufte ich mir von meinem Taschengeld ein Buch, aber meistens saß ich nur in der Leseecke und schmökerte. Von den Bilderbüchern arbeitete ich mich im Laufe der Jahre zu den Romanen hoch, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die Bilderbücher standen in den untersten Reihen und die Romane und Sachbücher darüber. Je mehr ich wuchs, umso höher ins Regal konnte ich greifen. Wenn andere Kinder ihr Wachstum anhand von Strichen an der Wand oder am Türrahmen verfolgten, maß ich meine Entwicklung an den Reihen des Bücherregals.
Oft war außer mir und dem Bücherwurm niemand im Laden. Dann kam er zu mir herüber oder rief mich zu sich und führte mich nach und nach in die Geheimnisse seiner Bücher ein.
Neben den Neuerscheinungen, die er vorne im Laden verkaufte, gab es noch ein Hinterzimmer, das ich erst nach zwei Jahren unserer Bekanntschaft erstmals betreten durfte. Es war ein fensterloser Raum, dessen Wände komplett von Bücherregalen bedeckt waren. Im Gegensatz zu vorne waren sie allerdings nicht mit neuen, sondern mit alten Büchern gefüllt. Das konnte man schon beim Eintreten am Geruch erkennen, einer Mischung aus Staub, Säure und Muff, der mich mit steter Regelmäßigkeit zum Niesen brachte.
In diesem Raum zeigte sich die eigentliche Leidenschaft des Bücherwurms: die Jagd nach alten Büchern, die nicht mehr verlegt wurden und von denen es oft nur noch wenige Exemplare auf der Welt gab.
»Bücher hatten früher eine ganz andere Bedeutung als heute«, erklärte er mir einmal. »Vor der Erfindung der Buchdruckkunst wurden sie von Hand abgeschrieben, und oft gab es nur zwei oder drei Exemplare eines Buches. Weil das so viel Arbeit machte, kannst du dir vorstellen, dass nur wirklich wichtige Dinge niedergeschrieben wurden. Auch nach der Einführung der Druckerpresse waren Bücher ein seltenes und teures Gut. Meistens wurden nicht Tausende von Exemplaren gedruckt, sondern nur ein paar Dutzend.«
Bei diesen Worten nahm er einen Karton aus einem der Regale, öffnete den Deckel und hob vorsichtig ein in Plastikfolie eingeschlagenes Buch heraus. Es war in rotes Leder gebunden und mit Goldverzierungen versehen.
»Dieses Buch ist über 300 Jahre alt«, sagte er, während er es behutsam aus seiner Hülle hervorzog. Er winkte mich zu sich. »Komm her.«
Ich stellte mich neben ihn und sah ihm dabei zu, wie er das Buch mit spitzen Fingern aufschlug. Die Seiten waren mit einer Schrift bedeckt, die ich nicht entziffern konnte. Ab und an unterbrachen Zeichnungen von Tieren oder Pflanzen den klein gedruckten Text.
»In diesem Buch steht alles, was man zum Zeitpunkt seines Erscheinens über Biologie wusste«, erklärte der Bücherwurm. »Es ist in altem Französisch verfasst, deshalb wirst du es kaum lesen können. Es wurde in einer Auflage von einhundert Exemplaren gedruckt und kostete damals so viel wie heute ein gut ausgestattetes Auto. Jetzt ist es ein kleines Vermögen wert.«
Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und ließ meine Finger über das Papier gleiten. Es fühlte sich rau und brüchig an, so als könne es jeden Augenblick auseinanderfallen. Schnell zog ich meine Hand zurück.
Der Bücherwurm lachte. »Keine Angst. So empfindlich ist das alte Schätzchen nicht. Es ist immer gut behütet worden, deshalb ist es auch so gut erhalten.«
Vorsichtig klappte er das Buch zu und schob es wieder in die Plastikhülle.
»Was machen Sie mit diesen alten Büchern?«, fragte ich.
Er stellte den Karton mit dem Biologiebuch zurück ins Regal. »Ich verkaufe sie an denjenigen, der bereit ist, dafür den
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