01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
meinem ersten Jahr hatte ich versucht, die stillschweigend von allen anerkannten Grenzen dessen, was erlaubt war, auszuloten. Nach und nach entwickelte ich ein immer besseres Gespür dafür, ob ich zu weit ging und Ablehnung riskierte oder aber auf dem bockenden Pferd der Beliebtheit fest im Sattel saß.
Manchmal liefen meine Scherze bestens und hoben michin einer Seifenblase des Ruhms und der Bewunderung aus der Menge empor. Ich glaube ohne Übertreibung sagen zu können, daß ich aufgrund meiner Aktionen im ersten Jahr in kürzester Zeit zum bekanntesten Jungen der ganzen Schule wurde. Nicht zum beliebtesten oder angesehensten, aber zu einem, den alle kannten und über den am meisten geredet wurde.
Eine meiner Glanzleistungen war die Brewer-Geschichte, die mir anerkennendes Schulterklopfen und ausgelassene Glückwünsche von allen Seiten einbrachte.
Die Schulbuchhandlung in Uppingham, in der man Blocks und Schreibwaren wie auch Lehrbücher, Romane, Lyrik und sonstigen gefragten Lesestoff erwerben konnte, wurde im Auftrag der Schule von einem Pedanten namens Mr. Brewer geführt. Die meisten Einkäufe wurden per Bestellschein getätigt, ein Zettel, den man von seinem Hausvorsteher nach dem Mittagessen abzeichnen ließ und der am Ende des Semesters mit auf die Schulgeldrechnung gesetzt wurde. Ein typisches Bestellformular sah etwa so aus:
UPPINGHAM SCHOOL BESTELLFORMULAR
Name . . . . . . . . . . . Haus . . . . . . . . . . .
6 Schreibblocks
1 Tintenfaß (blauschwarz)
1 Tintenfaß (grün)
1 Anspitzer
Unterschrift . . . . . . . . Genehmigt . . . . . . .
In das Unterschriftsfeld, wie wir im heutigen Computerjargon sagen würden, setzte man den eigenen Namen, während im Genehmigungsfeld der Hausvorsteher mit seinem Kürzel unterschrieb.
» Grüne Tinte, Fry?«
»Ja, Sir, für meine Englischaufsätze. Sieht eleganter aus.«
»Du meine Güte. Meinetwegen.«
Selbstverständlich hatte ich mit Frowdes hastig hingeschmiertem »G. C. F.« keinerlei Schwierigkeiten, und wurde mir das große Glück zuteil, einen unbeschriebenen Bestellblock in die Finger zu bekommen, geriet ich in einen wahren Bestellrausch.
Vor allem aber war es Mr. Brewers kleinkarierte und mißtrauische Art, die einen alles daransetzen ließ, den Mann durch gezielte Störmanöver in den Wahnsinn zu treiben. Als erstes probierte ich es mit Telefonterror. Durch einen glücklichen Zufall hatte ich herausgefunden, daß man in jenen Tagen der Impulsübertragung, also noch vor Einführung des Digitalnetzes und der Tonwahl, eine Verbindung herstellen konnte, indem man einfach wie beim Morsen auf die Gabel hämmerte, zehnmal für die Null, neunmal für die Neun und so weiter, wobei man zwischen jeder Zahl eine kleine Pause lassen mußte. Wenn man den richtigen Rhythmus raushatte, konnte man in einer öffentlichen Telefonzelle ohne weiteres »350466« einhämmern und wurde durchgestellt, ohne auch nur einen Penny zahlen zu müssen. Im Vergleich zu den Hackern und Codeknackern von heute war das natürlich reiner Kinderkram, aber man konnte trotzdem viel Spaß damit bekommen.
»Habe ich die Ehre mit Mr. Brewer?«
»Ja.«
»Na, dann beehren Sie mich bald mal wieder.«
Eine zugegeben ziemlich müde Nummer, aber ich steigerte mich noch.
»Mr. Brewer? Hier Penguin Books. Wir rufen an, um Ihre Bestellung über viertausend Exemplare von Lady Chatterley zu bestätigen.«
»Wie bitte? Nein, nein. Das waren diese Lausebengel! Ich habe keine solche Bestellung aufgegeben. Sofort stornieren! Hören Sie?«
»Ich verstehe! Und was ist mit den zehntausend Exemplaren von Letzte Ausfahrt Brooklyn ?«
Verarscht.
Oder man redete abgehacktes und konfuses Zeug, was am besten ging, wenn er selbst den Hörer abnahm.
»Uppingham Schulbuchhandlung.«
»Ja, bitte?«
»Uppingham Schulbuchhandlung.«
»Was wünschen Sie?«
»Wie bitte?«
»Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Uppingham Schulbuchhandlung hier.«
»Das sagten Sie bereits, was wünschen Sie bitte?«
»Sie haben doch angerufen.«
»Aber nein.«
»Also gut, welche Nummer wollen Sie denn?«
»Ich will überhaupt keine Nummer. Ich will nur nicht weiter von der Uppingham Schulbuchhandlung belästigt werden, wer immer Sie sind. Sie wissen, daß aufdringliche Anrufe gesetzeswidrig sind.«
»Aber Sie haben mich doch angerufen!«
»Hören Sie, wenn Sie nicht sofort aus der Leitung gehen, rufe ich bei der Polizei an. Der Bischof erwartet einen dringenden Anruf von einer seiner Frauen.«
»Wieder so ein kleiner
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