01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
Nick zu sitzen, und ihn langsam bearbeiten.
Nach dem Mittagessen in Fircroft ging ich auf mein Zimmer und dachte in Ruhe über alles nach. Ich hatte das Riesenschwein, wegen Asthma für mindestens eine Woche vom Sport befreit zu sein: Mein Hausarzt hatte mir nach einem schlimmen Anfall Ende August, kurz nach meinem vierzehnten Geburtstag, ein eindeutiges Attest als Trumpf ausgestellt.
Ich nahm einen Block vom Schreibtisch und fing an alles aufzuschreiben, was ich wußte.
Er hieß Matthew. Matthew Osborne. Er wohnte in Redwood’s, genau wie sein Bruder.
Matthew Osborne (R)
Sein Mittelinitial würde ich später herausfinden. Osborne, M. J.? Nein, sein Bruder war Osborne, N. C. R., also hatte vermutlich auch Matthew noch zwei weitere Namen. Osborne, M. P. A.? Wie Matthew Peter Alexander? Gut möglich. Osborne, M. St. J. G.? Matthew St. John George. Auch eine Möglichkeit.
Vor allem aber mußte ich mir über das Warum klarwerden.
Warum stellte er das mit mir an? Ich schrieb den Satz auf.
Und das Was ?
Was stellte er mit mir an? Ich schrieb auch das auf.
Und das Wie ?
Wie machte er es, mich so auf den Kopf zu stellen? Ich wollte auch das aufschreiben, als mir auffiel, daß es fast wie ein Song-Text klang. Gerry & The Peacemakers? Freddie & The Dreamers? Irgendwas in der Art. Nicht sonderlich tiefschürfend. »How do you do what yah do for me ...« Banales Zeug. Das war’s nun wirklich nicht. Ich strich alles durch, zerknüllte das Papier, riß es in Fetzen und fing noch mal von vorn an.
In Der Lügner habe ich mich in flapsigem Ton über diese Episode ausgelassen:
Er hatte sich in Hugo Alexander Timothy Cartwright in dem Augenblick, da er ihn sah, verliebt, als der Junge, in einer Reihevon fünf Neuankömmlingen, am ersten Abend von Adrians zweitem Jahr in den Aufenthaltsraum gestolpert war.
Heydon-Bayley stieß ihm in die Rippen.
»Was meinst du, Healey? Üppig, was?«
Adrian hatte ausnahmsweise geschwiegen. Irgendwas stimmte einfach nicht.
Es hatte geschlagene zwei Semester gedauert, bis er die Symptome identifiziert hatte. Er schlug sie in allen wichtigen Lehrbüchern nach. Es bestand gar kein Zweifel. Die Autoritäten stimmten überein: Shakespeare, Tennyson, Ovid, Keats, Georgette Heyer, Milton, sie alle waren einer Meinung. Es war Liebe.
Die ganz große.
Cartwright mit den Saphiraugen und dem Goldhaar, Cartwright mit den Lippen und Lidern: Er war Petrarcas Laura, Miltons Lycidas, Catulls Lesbia, Tennysons Hallam, Shakespeares blonder Knabe und Dunkle Dame, des Monds Endymion. Cartwright war der Lohn der Garbo, die Nationalgalerie, er war Zellophan: Er war die zarte Falle, die leere heillose Überraschung des Ganzen und der leuchtende goldene Dunst auf den Auen: Er war honey-honey, sugar-sugar, chirpy cbirpy cheep-cheep und seine Kinderliebe: Die Stimme der Turteltaube erscholl, die Engel speisten im Ritz, und eine Nachtigall sang auf dem Berkeley Square. Zwei Semester zuvor hatte Adrian es geschafft, Cartwright zu einer amüsanten halben Stunde in den Waschräumen ihres Hauses zu überreden, aber er hatte nie daran gezweifelt, daß er seine Hosen herunterbekommen würde: Das war es nicht. Er wollte einfach mehr von ihm als die paar wollüstigen Zuckungen, die die begrenzten Aktivitäten von Reiben und Lecken, Treiben und Stecken anzubieten hatten.
Er wußte nicht genau, wonach er sich sehnte, aber eins war klar. Es war weniger statthaft, zu lieben, sich nach ewiger Partnerschaft zu verzehren, als hinter den Sportplätzen zu springen und zu schlürfen und zu schnaufen. Liebe war Adrians heimliche Schuld, Sex sein öffentlicher Stolz.
Kein großer Akt, die Dinge gut zwanzig Jahre später so darzustellen, doch selbst als ich dies 1990 schrieb, also vor sieben Jahren, hatte ich ein schlechtes Gewissen, in einem so kavalierhaften, beiläufig abgeklärten und gelehrigen Ton über mein damaliges Ich, meine Gefühlsqualen und meine tiefe Verwirrung zu reden.
»Es hatte geschlagene zwei Semester gedauert« – nun, diese sechs Worte besitzen zumindest die Tugenden der Aufrichtigkeit und der Kürze. Von wegen Pleonasmus. Es gibt da eine alte Kamelle aus der Filmbranche. Welches ist die teuerste Regieanweisung mit den wenigsten Worten? Soweit ich weiß, geht der Preis nach wie vor an den authentischen Satz:
Die Flotten treffen aufeinander.
»Geschlagene zwei Semester« wäre vermutlich mein Äquivalent in puncto emotionaler Kostenaufwand.
In meinem Kopf, der quälend langsam arbeitet, wenn es darum
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