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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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ersparen.
    Kathleen war in fast allen meiner Kurse und besaß den großen Vorteil, daß ihr Elternhaus gleich gegenüber dem College lag. Oft gingen wir zu ihr, hörten Musik und plauderten. Sie befand sich in einer Phase, in der man Sobranie-Zigaretten raucht, grünen oder schwarzen Nagellack benutzt, Fransenröcke trägt und sich für jene seltsame Mischung aus Bloomsbury und Prä-Raphaelitentum begeistert, die für eine gewisse Sorte Mädchen typisch ist, die ein künstlerisches Temperament besitzen, ohne zu wissen, wohin damit. Zu meinem sechzehnten Geburtstag schenkte sie mir eine wunderschöne, in Grün und Gold gebundene Ausgabe der Intentions von Oscar Wilde von 1945, die ich heute noch habe, sowie eine verdammt gute Nummer, die mir ebenfalls lebhaft im Gedächtnis geblieben ist.
    Wir saßen in ihrem Zimmer und hörten Don McLeans LP American Pie , die damals schwer angesagt war. Während wir uns über den tiefschürfenden Text von »Vincent« unterhielten, bemerkte sie plötzlich, es sei reichlich merkwürdig, daß wir nie miteinander ins Bett gingen. Ich hatte ihr gleich zu Anfang anvertraut, daß ich allem Anschein nach homosexuell sei, was in ihren Augen allerdings keinerlei Hindernis bedeutete.
    Ich war von der Erfahrung rundum angetan. Entgegen meiner Befürchtung war es ganz anders, als die entsetzlich misogyne Szene in Ken Russells Tschaikowsky – Genie und Wahnsinn zu suggerieren schien, der zufolge Tschaikowsky, weil er schwul war, sich bei der Berührung einer Frau umgehend übergeben mußte. Ich konnte im nachhinein nicht leugnen, daß das Design der Vagina, was ihre plastische Struktur und umschließende Spannkraft anging, für die Aufgabe wie gemacht, ja geradezu ideal geschaffen war. Wir blieben Freunde und probierten es später noch einmal im Feld und im Auto. Ich war nicht wirklich mit Leib und Seele dabei, aber meine Lenden waren ausgesprochen dankbar, an die frische Luft zu kommen und in Übung zu bleiben.
    Im Sommer nach meinem ersten Jahr in King’s Lynn verdiente ich als Barkeeper im Castle Hotel genügend Geld (ich war gerade mal sechzehn, aber damals kümmerte das keinen), um mir ein Raleigh-Ultramatic-Moped zuzulegen, mit dem ich am Wochenende die gut dreißig Meilen zwischen Booton und King’s Lynn hin und her kreuzte. Zu Beginn meines zweiten Jahres nahm ich Abschied von den Crootes, Pepe und Mantovani und quartierte mich im Studentenwohnheim des Colleges ein. Dort lernte ich zwei gute Freunde kennen, Philip Sutton und Dale Martin, die beide ungemein witzig, sympathisch, aufgeweckt und einfallsreich waren. Ich muß gestehen, daß ich nahe daran war, Matthew mit Dale zu betrügen, der einfach umwerfend war. Er sah aus wie Brad Pitt mit siebzehn, wobei niemand bestreiten wird, daß man sich mit einem solchen Aussehen durchaus sehen lassen kann.Matthew brannte immer noch ein Loch in mein Herz, aber bei Dales Anblick konnte man schwach werden. Wir wohnten in der obersten Etage des Studentenwohnheims, in dessen Küche mir Phil und Dale wochenlang geduldig beibrachten, wie man Spiegeleier brät oder Baked Beans aus der Dose heiß macht, eine Kunst, die ich bis heute sehr zum würgenden Neid und Lob meiner Freunde beherrsche.
    Phil und Dale waren bis in die Zehenspitzen Norfolker Landeier, sahen aber großzügig über meine Herkunft hinweg und betrachteten mich als einen der Ihren. Unsere Lieblingsbeschäftigung war es, stundenlang im Hinterzimmer des Woolpack, des Pubs neben dem College, zu sitzen und Dreikartenpoker um Geld zu spielen. Keine Rieseneinsätze, aber immerhin genug, um sich bei einer andauernden Pechsträhne grün und blau zu ärgern. Da ich mir nichts aus Alkohol machte, schlürfte ich gewöhnlich einen Mix aus Bitter Lemon und Orangensaft, der, glaube ich, St. Clement hieß. Ich entdeckte, daß ich mich in der Gesellschaft heterosexueller Männer, wo man sich stundenlang über Sport, Popmusik und Kartenspiele unterhielt und lockere Witze riß, pudelwohl fühlte. Nur selten drehte sich das Gespräch um Frauen, nicht aus Schüchternheit, wie ich denke, sondern aus dem gleichen Taktgefühl heraus, das unter den gebildeteren Klassen in unendlich steiferer Form in den zahllosen College-Vorschriften und Ermahnungen hochgehalten wird, nie »den Namen einer Frau zu beschmutzen«. Über Weihnachten verschafften mir Phil und Dale einen Kellner-Job im Hotel de Paris in Cromer. In einer Woche verdiente ich einhundert Pfund, die mir aber weiß Gott auch zustanden. Ich glaube, ich

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