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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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noch, als er bei der anschließenden Diskussion im Sitzungsraum Lebkuchenplätzchen in seinen Kaffee tunkte, der arme alte Knacker. Man kann nur ahnen, wie er wohl auf Kronenbergs Crash oder Tarantinos Reservoir Dogs reagiert hätte.
    Zu dieser Zeit begann ich Anzüge mit extrem weiten Hosen zu tragen, die durch Robert Redfords Auftritt in Der große Gatsby , der gerade in die Kinos gekommen war, schwer im Trend lagen. Dazu trug ich steife, abnehmbare Hemdkragen und Seidenkrawatten, glänzende Lackschuhe und gelegentlich auch einen ausgesprochen schrillen Hut. Mein Aussehen glich vermutlich einer Mischung aus James Caan in Der Pate und einer Chelsea-Schwuchtel, die crème de menthe nippt und ausstehende Mieten eintreibt.
    Die Schulbühne in Norcat wurde von einem talentierten Enthusiasten namens Robert Pols geleitet. Er verschaffte mir einen Auftritt als Lysander in Ein Mittsommernachtstraum sowie als Kreon in einer Doppelinszenierung von Sophokles’ König Ödipus und Antigone . Tief in meinem Innern war ich immer noch davon überzeugt, Schauspieler zu werden. Meine Mutter versuchte mir unterdessen klarzumachen, eigentlich wolle ich Rechtsanwalt werden, was, wie sie mir auseinandersetzte, in etwa das gleiche sei, und tatsächlich hatte ich einige Zeit mit dem Gedanken gespielt. In der Tiefe meines Herzens, und ich vermute auch in dem meiner Mutter, stand allerdings fest, daß für mich nur die Schauspielereiin Frage kam. Mein Schreiben bedeutete mir zwar unendlich viel mehr, war aber eine so private Angelegenheit, daß ich es unmöglich jemandem zeigen, geschweige denn veröffentlichen konnte. In meinen Augen war die Schauspielkunst pure Selbstdarstellung, während ich das Schreiben als mein privates Waschbecken betrachtete, in dem ich mich von meinen Sünden reinwaschen konnte.
    Seltsamerweise sind meine Erinnerungen an Norcat, obwohl ich dort ganze zwei Jahre verbracht habe, unendlich verschwommener als die Erinnerungen an Uppingham, wo ich kaum einen Monat länger war.
    Zu Beginn meines zweiten Jahres in King’s Lynn erlebte ich einen fürchterlichen Durchhänger. Ich war mittlerweile siebzehn und längst nicht mehr der Jüngste in meiner Klasse, der geistige Überflieger, der verschrobene, aber unterhaltsame Klassenclown, der ebenso verschlagene wie faszinierende Bösewicht und auch längst nicht mehr in den Augen einiger Leute durch meine Pubertät zu entschuldigen. Mit siebzehn ist man so gut wie erwachsen.
    Alle, die mir etwas bedeuteten, entfernten sich von mir. Jo Wood ging nach Cambridge, und Matthew würde sich im kommenden Jahr dort bewerben. Richard Fawcett war in St. Andrew’s angenommen worden, während mein Bruder eine Offiziersausbildung in der Armee absolvierte. Nur ich war ein Versager, und ich war mir dessen deutlich bewußt.
    Nach einem hitzigen Streit mit meinem Vater vor meinem vierten und letzten Semester in Norcat unternahm ich einen Selbstmordversuch. Ich weiß nicht mehr genau, worüber wir aneinandergerieten, aber ich war fest entschlossen, mit allem Schluß zu machen. Ich hatte nichts mehr, wofür sich morgens das Aufstehen lohnte. Darüber hinaus durchlief mich ein wohliger, zitternder Schauer bei der Vorstellung, wie hart es meinen Vater treffen würde, wenn man meinen Leichnam entdeckte und er genau wie alle anderen wüßte, daß allein er die Schuld trug.
    Ich schluckte einen gewaltigen Pillencocktail, vornehmlich Paracetamol, aber auch Intal. Intal war eine Kapsel mit Pulver, das man bei Asthma-Anfällen mit Hilfe eines sogenannten »Spinhaler« in die Lungen einsaugen mußte. Ich ging davon aus, die vernichtende Mischung dieser beiden Medikamente, verstärkt durch ein paar Aspirin- und Kodein-Tabletten, würde den Erfolg meines Unternehmens besiegeln. Ich weiß nicht mehr, ob ich einen Abschiedsbrief hinterließ, aber wie ich mich kenne, habe ich mich ganz bestimmt hingesetzt und einen Brief voller Haß, Schuldvorwürfe und selbstgerechter Qual aufgesetzt.
    Wenn ich jemals ein echter Scheißkerl, ein unsäglicher und unerträglicher Scheißkerl in meinem Leben gewesen bin, dann zu dieser Zeit. Es war nicht weniger grauenhaft, mich anzusehen, wie mir beim Reden zuzuhören oder mich zu kennen. Ich wusch mich nicht, ich interessierte mich für niemanden, und ich stritt mich mit den beiden einzigen Menschen, die mich vorbehaltlos liebten – meiner Mutter und meiner Schwester, deren ehrliche Anstrengungen ich mit meinem Zynismus, meiner Arroganz und meinem Stolz erstickte; ich

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