01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
den genialen Einfall hatte, halluzinogene Pilze zum Frühstück zu futtern. Ich konnte dem Ungetüm stundenlang zusehen; wie in Trance starrte ich auf die Tausenden und Abertausenden kleinen blauen Metallnieten, die in einem großen vibrierenden Behälter kreisten, dann wie eine Ameisenarmee in einen Schacht flutschten, von wo aus sie mit einem druckluftgetriebenen Hammer mit einer Geschwindigkeit von sechs oder sieben Stück pro Sekunde in einen vorbeilaufenden Papierstreifen geschossen wurden, der sich anschließend automatisch zusammenfaltete und weiter in den Verpackungskarton wanderte. Die Kartons wurden auf Palettenhölzern gestapelt, während ein kleiner summender Elektro-Stapler für Ordnung sorgte. War Vater nicht da, entbrannten zwischen meinem Bruder und mir die erbittertsten Kämpfe, wer den Gabelstapler fahren durfte.
Es konnte nicht ausbleiben, daß mein Vater von einigen Leuten der Umgebung mit scheuem Argwohn betrachtet und als der verrückte Erfinder bezeichnet wurde. Wenn nachts um drei seltsame Geräusche aus dem Pferdestall drangen, war ich immer halb darauf gefaßt, unser Haus von einem fackelschwingenden, düsteren Troß Dorfbewohner umstellt zu sehen, die wissen wollten, mit welchen dunklen Mächten er sich eingelassen habe. Jahre konnten vergehen, ohne daß jemandim Dorf ihn zu Gesicht bekam, was seine geheimnisvolle Aura nur vergrößerte. War meine Mutter durch Grippe oder Übelkeit verhindert, alles bis ins letzte für ihn zu regeln, konnte es passieren, daß mein Vater höchstpersönlich die zwei Meilen nach Reepham fahren mußte, um seine Pfeifentabaksvorräte aufzustocken. Es war ein Bild für sich, wenn er wie ein verstörter Tourist dem Tabakhändler hilflos eine Handvoll Münzen hinhielt. Ich bin noch heute überzeugt, er wußte nicht, wie eine Twenty-Pence-Münze aussah oder welche Nationalhelden die Rückseite der einzelnen Geldscheine zierten. Aber ich will nicht übertreiben: Immerhin nahm er an Treffen der British Legion und der Conservative Party teil (in den Sechzigern und Siebzigern, bevor die Konservativen überschnappten), segelte ab und zu mit einem Freund über den Kanal nach Holland und arbeitete bis vor kurzem mit großem Einsatz und Elan im Verwaltungsrat von Reepham High School. Er war weder so verrückt wie Professor Bienlein, noch war er der strahlende Muster-Daddy aus der Werbung.
Die mit Abstand tollsten Objekte, die je die Werkstätten im Pferdestall verließen, waren Maschinen, die bei uns nur Dings hießen. Dings war ein großer Stahlschrank mit unvorstellbar vielen Knöpfen und Schaltern. Mein Vater und seine Mitarbeiter waren wochenlang mit der Fabrikation eines Dings beschäftigt, das in der Regel für Tochterfirmen von Imperial Chemical Industries in Mexiko, Israel oder der Türkei bestimmt war, um dort irgendwelche Regelsysteme zu steuern. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was sich mit Dings alles steuern und regeln ließ, aber mein Vater hatte monatelang mit Rechenschieber und Skizzenpapier in seinem Büro über Projekt Dings gesessen und dann noch einmal mehrere Monate im Zeichenraum, um die Dutzenden von Schalttafeln zu entwickeln, die wie Wabenkästen in einen Bienenkorb in Dings eingeschoben wurden.
Im Bau war Dings ein einziger Gedärmhaufen: Das endlose Kabelgewirr und die unzähligen Stromgeber, die eng mitKupferdraht umwickelt waren und wie Magnetspulen aussahen, ließen Dings geradezu nackt und verletzlich erscheinen. Wenn aber das Leitungsnetz fertig und sämtliche Schalttafeln verlötet und eingebaut waren, wurde Dings ein im schmukken Grün der dreißiger Jahre emailliertes Metallgehäuse übergestülpt und sämtliche Schalter, Anzeigetafeln und Knöpfe angeschraubt. Zuletzt wurde eine Plakette angebracht, die neben der Aufschrift Alan Fry Controls Ltd., Booton, Norfolk, England, auch das von meinem Vater eigenhändig entworfene Firmenlogo zierte, das die drei Buchstaben f-r-y in der Form eines aufgezeichneten Energiestroms auf einem Oszillographen zeigte.
Mittlerweile hatte meine Mutter stundenlang an der Schreibmaschine gesessen und zahllose Telefonate geführt, um sich mit Frachtbriefen, Exportpapieren und Gott weiß was für verwaltungstechnischem und bürokratischem Papierkram herumzuschlagen, der mit der Auslieferung eines Dings verbunden war. Die Papierflut schien gar kein Ende zu nehmen und konnte sogar die geduldigste Frau der Welt für eine Woche in einen keifenden Drachen verwandeln. Genervter und grantiger war sie nur, wenn
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