01 - Der Ring der Nibelungen
Wissen und das soeben Erfahrene zusammen, und im Verbund mit dem Verratenen bildete sich ein tödliches Gespann. Sie sprach den Namen ihres Mannes leise, verzweifelt: »Siegfried.«
Dann schrie sie ihn: » Siegfried! «
Immer wieder » Siegfried! «, auf dem Weg zurück in die Burg. » Siegfried! «, beim Sprung aufs Pferd und ebenso beim Ritt zum Wald: » Siegfried! «
Ihre Stimme trieb die Vögel von den Nestern, riss Blätter von den Bäumen, jagte Füchse in den Bau.
» Siegfried! «
Zweige peitschten ihr die Tränen aus dem Gesicht, und nichts hörte sie mehr als sich selbst, seinen Namen immer wieder rufend: » Siegfried! «
Sie hatte nun Verrat erkannt, und drohende Gefahr. Es ging nicht mehr um Reich und um Politik, sondern um Liebe und das nackte Leben.
» Siegfried! «
Zwischen dem lauten Getrappel der Hufe und dem heiseren Schrei hörte nur der Wald das vielstimmige Kichern der Nibelungen.
» Siegfried! «
Hagen fand Siegfried dort, wo er ihn erwartet hatte - an der kleinen Quelle, die gleich mehrere Bäche speiste. Der Held von Burgund und König von Xanten und Dänemark wusch sich die Hände und den Hals. Darin steckte er den Kopf in das klare Wasser.
Natürlich hatte er binnen kürzester Zeit einen prächtigen Eber erlegt, und natürlich hatte er Gunther vermessen aufgefordert, diese Leistung zu überbieten. Er war blind gewesen für die leise Wut hinter Gunthers Lächeln. Nun lehnte er am Wasser und rieb sich Schmutz und Blut aus seinem Haar.
Leise hob Hagen den Speer, den er schon vor Wochen hatte schleifen lassen. Kaum jemand bei Hofe war ihm ebenbürtig, wenn es um den Gebrauch dieser besonderen Waffe ging.
Er hatte nur eine Chance, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Und wenn es ihm nicht gelang, den Xantener zu töten, würde sein eigenes Leben hier im Wald enden. Aber es gab keine Verzagtheit, keine Furcht in Hagens Herz. In dieser Aufgabe fand er sein Schicksal.
Der Wind erstarb ebenso wie der Gesang der Vögel, als Hagen mit seinem Auge Siegfrieds linkes Schulterblatt suchte, wie es sich unter seinem Hemd bewegte. Dann war die Zeit des Zauderns vorüber, und alte Muskeln warfen junges Eisen mit unbändiger Kraft: »Für Burgund.«
»Hagen!«, ertönte Gunthers Stimme weit entfernt, als der Speer schon surrend sein Ziel suchte.
Siegfried von Xanten straffte seinen Rücken, richtete sich auf - und sah die Spitze der Waffe durch seinen Brustkorb schlagen, noch bevor er den Schmerz an seiner Schulter spürte, wo sie eingedrungen war. Von kaltem Eisen tropfte warmes Blut ins Wasser, und wie Siegfrieds Leben löste es sich auf, verschwamm wie Nebel, den man zu greifen suchte. Er sah sein eigenes überraschtes Antlitz in der Quelle und das Holz zitternd aus seinem Rücken ragen. Stumm stand er auf, die linke Hand auf einen Stein gelegt. Er tastete nach Nothung, doch als seine Finger das Heft fanden, war die Klinge bereits gebrochen. Das Schwert hatte sich dem Schicksal schon gebeugt.
Endlich drehte sich Siegfried um, den Blick anklagend auf seinen Mörder gerichtet. Er machte einen Schritt, dann zwei, den versagenden Körper zum Versuch der letzten Rache schleppend.
Hagen stand nur da, fast neugierig, und sah zu, wie der König von Xanten röchelnd nach ihm griff.
Gunther brach verzweifelt durch das Unterholz, hielt in-ne und sah Siegfried tot ins Laub des Waldes fallen, den Speer aus dem Rücken ragend. Kaum eine Handbreit von Hagens Stiefel zuckte sein Arm ein letztes Mal.
Mit Siegfried von Xanten starb ein Held, der auf dem Schlachtfeld unbesiegbar war und dessen Klinge Göttern trotzte. Er starb, wie ein solcher Held nur zu besiegen war -durch Verrat und Feigheit. Und doch war es unwichtig, wie das Ende nun geschlichen kam, denn der Tod nahm ihn gleichgültig auf.
Gunther, den der letzte Rest Gewissen durch den Wald getrieben hatte, um die ehrlose Tat noch abzuwenden, sah den Mörder entsetzt an. »Hagen, was ... was ist geschehen?«
»Was geschehen musste«, antwortete der Ratgeber. »Nun wird auch Xanten und Dänemark von Burgund regiert, und das Volk weiß nur einen Helden zu preisen - seinen König. Wie es sein soll.«
Keinen Frieden fand Gunther in den Worten, und der Anblick seines toten Gefährten schnürte ihm die Kehle zu. Er drehte den Kopf zur Seite, nach Atem ringend.
Die Vögel hatten ihr Lied nicht wieder aufgenommen, aber eine zarte Stimme schallte durch die Bäume: »Siegfried!«
Als leise das Geräusch von Pferdehufen näher kam, wurde aus
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