Die Anfänge meiner Welt
Der alte
Teufel und seine Frau
Großvaters Soutane flatterte
den Friedhofsweg hinab, und ich lief dicht hinter ihm her. In der Sakristei gab
es immer etwas zu tun, und ihm war jeder Vorwand recht, um das Pfarrhaus
(fluchend und die verzogene Tür mit dem Fuß zuschlagend) verlassen zu können.
Solange ich bei ihm war, konnte er keine Dummheiten machen; ich war eine Art
Fessel für ihn, wie er für mich. Gern wäre er ab und zu mit dem Auto
weggefahren, doch das Benzin war rationiert. In der Kirche hatte er wenigstens
seine Ruhe. Meine Großmutter kam nie auch nur in ihre Nähe — außer mit den
Füßen voran, aber erst Jahre später, als sie im selben Grab beigesetzt wurde
wie er. Gemeinsames Vermodern in Ewigkeit, zu guter Letzt doch noch ein
Fleisch, nach lebenslangem gegenseitigem Haß. Im Leben aber drang sie nie in
sein Revier ein; auf dem Friedhof war er auf seinem eigenen Terrain, in seinem
Element. Er machte eine gute Figur bei Beerdigungen, denn er war hager,
zerfurcht und von Sterblichkeit gezeichnet. Noch dazu lief eine Narbe seine
hohle Wange hinab, die Grandma ihm mit dem Tranchiermesser beigebracht hatte,
als er, wie so oft bezecht und zu nichts mehr fähig, nach Hause kam.
Aber das war, als sie noch
»redeten«, vor meiner Zeit. Jetzt führten sie nur noch Selbstgespräche oder
fluchten einer hinter dem anderen her, und er stürmte (mit mir im Schlepptau)
türenknallend aus dem Haus, zwischen den Gräbern durch, vorbei an der hohlen
Eibe, in der die Katze ihre Jungen warf, und den diversen Grüften, die für den
Geruch verantwortlich gemacht wurden, der bei feuchtem Wetter im Pfarrhauskeller
hing. Rechts von uns lag die Kirche, links dehnte sich das Gräberfeld,
durchzogen von einem imposanten Kiesweg, der vom Kirchenportal zu der kleinen
Grünfläche mit dem Kriegerdenkmal und weiter — über die Straße — zum See
führte. Die Kirche erfreute sich dieses eindrucksvollen Zugangs wegen großer
Beliebtheit für Hochzeiten, doch Grandpa war verständlicherweise nicht erpicht
auf Trauungen.
Einmal blieben wir stehen, um
zuzuschauen, wie der Totengräber einen Schädel ausbuddelte; es war ein alter
Friedhof, bereits zum zweiten- oder drittenmal belegt. Großvater wischte die
Erde ab und deklamierte: »Ach, armer Yorick! — Ich kannte ihn...« Ich hielt das
für seine eigenen Worte, doch als ich älter wurde und Hamlet sah,
durchschaute ich ihn und fragte mich, was ihm damals wohl durch den Kopf
gegangen war. Vielleicht sah er in der Szene ein Abbild seiner eigenen
Situation — der Verbannung in eine entlegene Landgemeinde, wo seine Fähigkeiten
brachlagen und dergleichen mehr. Andererseits bot ihm sein Amt reichlich
Gelegenheit, sich in versteckten, bitteren Scherzen zu ergehen, zu
schwadronieren und seinen Sarkasmus zu pflegen, so daß er sich in gewisser
Weise doch wohl fühlte. Damals glaubte ich, ein Pfarrer müsse so sein: knochig,
wortgewandt und übelriechend (Tabak, Kerzentalg, saurer Rotwein). Seine
Enttäuschungen gehörten für mich ebenso zu ihm wie das Kollar und die Soutane.
Ich war wie ein Gänseküken, geprägt auf die erste Mutterfigur, die es sieht —
er war mein Bezugspunkt.
Man erkannte ihn schon von weitem.
Wir lebten in einem Dorf, in dem Mensch und Beruf eins waren. Es war nicht nur
so, daß man »seinen Platz kannte«, vielmehr besetzte gewissermaßen der Platz
den Menschen, und jeder wußte von vornherein, was später aus ihm werden würde.
Sogar die Familiennamen spielten dabei mit. Der Totengräber hieß Mr. Downward,
der Schmied, der am See wohnte, schrieb sich Bywater. Noch entscheidender wurde
dieses Bild von der Familie geprägt, der das Dorf gehörte, den Hanmers, denn so
hieß auch das Dorf. Die Hanmers waren mit Wilhelm dem Eroberer nach England
gekommen, sie waren bis an die walisische Grenze gelangt und lebten seither in
dieser nach England hineinragenden Ausstülpung von Nordwales, dem abgetrennten
Teil von Flintshire (Flintshire Maelor), wie es damals hieß, umgeben von
Shropshire, Cheshire und — auf der walisischen Seite — Denbighshire. Städte gab
es im Bezirk Maelor nicht, nur Dörfer und Weiler. Das eigentliche Flintshire
lag weiter entfernt; es war (damals) ein Industriegebiet und damit praktisch
eine ganz andere Welt als jene ländlichen Gemeinden, die sich damit abgefunden
hatten, bei jeder Wahl einen Labour-Abgeordneten vorgesetzt zu bekommen. In
Hanmer waren sich die Leute einig, daß sie mit alldem nichts zu schaffen
hatten.
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