01 - Geheimagent Lennet wird ausgebildet
flüsterte dem Oberst ins Ohr: »Betreibt er Sport?«
»Reiten, Judo, Schwimmen", las der Oberst in der Akte nach.
Der Infanterist, der endlich seine Karten fertig addiert hatte, hob den Kopf und fragte: »Haben Sie nie eine militärische Laufbahn ins Auge gefaßt?«
»Nein, Herr Hauptmann.«
»Und warum nicht?«
»Es würde mir nicht den geringsten Spaß machen, auf Knöpfe zu drücken, um Raketen abzuschießen.«
Die Offiziere sahen sich wieder etwas verwundert an. Sie alle waren schon an der Front gewesen, hatten den Feind vor Augen gehabt, häufig sogar in hartem Nahkampf. In Zukunft aber, darin war man sich einig, würden Kriege durch die Technik entschieden werden.
»Wie gesagt", nahm der Oberst wieder das Wort, »der Elektronenrechner schätzt Sie hoch ein, Lennet. Er rät uns, Ihnen eine Verantwortung anzuvertrauen, die Ihrem Alter nicht angemessen scheint, die Ihnen aber vielleicht ,Spaß machen' könnte. Wären Sie unter Umständen bereit, der Einberufung zuvorzukommen und sich für mehrere Jahre zu verpflichten?«
»Das hängt von den Umständen ab, Herr Oberst.«
»Gewiß. Glauben Sie, daß Ihr Vormund Einspruch erhebt, falls Sie einen derartigen Entschluß fassen?«
»Bestimmt nicht...« Und wieder der Schatten eines schelmischen Lächelns. »Er wäre selig, wenn mir etwas zustieße. Er verwaltet das Vermögen meiner Eltern.«
Mit einemmal ergriff Montferrand, der endlich seine Pfeife in Brand gesetzt hatte, das Wort: »Sagen Sie einmal, Lennet, prügeln Sie sich häufig so, wie Sie das heute getan haben?«
Lennet faßte Montferrand aufmerksam ins Auge, überlegte einen Moment und antwortete dann: »Sehr selten, Herr Major!«
Die Offiziere tuschelten miteinander. Offenbar waren sie durch das Auftreten des jungen Mannes irritiert.
»Warum nennen Sie mich Major?« fragte Montferrand. »Sie sehen doch ganz gut, daß ich Zivilist bin.«
»Sie sind zwar in Zivil", erwiderte Lennet, »aber Ihrem Haarschnitt und Ihrem Blick nach, kombiniere ich, müßten Sie dem Militär angehören. Und Ihrem Alter nach Major sein.«
Der Fallschirmoffizier brach in Lachen aus. Der Oberst verbarg seinen Mund hinter der vorgehaltenen Hand. Alle blickten auf Montferrands dichtes graues Haar, das er im Bürstenschnitt trug.
Montferrand erwiderte aufgeräumt: »Und doch irren Sie sich.
Ich bin Zivilist. Mein Name ist Robert Leman. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Er streckte ihm die Hand entgegen.
Lennet erhob sich, um Robert Lemans Hand zu drücken. Sein Händedruck war kräftig und kurz. Seine blauen und Montferrands braune Augen tauschten Blicke.
»Waren Sie im Recht oder im Unrecht, als Sie sich eben prügelten?« fragte Montferrand.
»Im Recht", erwiderte Lennet, ohne zu zögern.
»Haben Sie nicht versucht, das dem Feldwebel zu erklären?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Er war nicht in Stimmung, mich zu verstehen.« Der Oberst hüstelte. Montferrand nickte mit ernster Miene.
»Man muß lernen, zu seinen Vorgesetzten Vertrauen zu haben", sagte er. »Die Vorgesetzten sind selten in Stimmung, einen zu verstehen. Man muß sie dazu zwingen. Nun, Lennet, ohne daß für beide Teile eine Verpflichtung daraus erwächst denn sowohl Sie wie ich müssen uns die Sache gut überlegen: Wären Sie geneigt, mehrere Jahre Ihres Lebens zu opfern und sich dem Geheimdienst zu widmen? Ich mache Sie von vornherein darauf aufmerksam, daß die Ausbildung eines Geheimagenten den Staat sehr teuer zu stehen kommt. Es kann also keine Rede davon sein, nach der Vertragsunterzeichnung vielleicht noch zu kneifen, Schuhwichse oder Nudeln verkaufen zu gehen. Außerdem: Der Geheimdienst verlangt den ganzen Mann, kennt aber auch langwierige, kleinliche Aufträge, wie sie in Spionageromanen nur sehr selten erwähnt werden. Und schließlich ist diese Tätigkeit auch ziemlich gefährlich...«
Während seiner Worte hatte Montferrand das Gesicht des Jungen im Auge behalten. Bei dem Wort »gefährlich" zeigte sich endlich eine Reaktion: Das Gesicht hellte sich jäh auf.
»Ich glaube, das würde mir viel Spaß machen, Herr Leman.«
»Gut. Ich sehe Sie heute nachmittag, um Ihnen, mitzuteilen, wie ich mich entschieden habe.«
Fünf Minuten nach zwölf verließ »Robert Leman" die Kaserne - mit sorgenvoller Miene. Er war ein Mann der Tat; Zögern war ihm verhaßt, und doch konnte er zu keinem Entschluß kommen. Sollte er wirklich aus diesem Blondkopf, der sich so ungezwungen gab, einen FND-Agenten machen?
Er kam am Wachtposten
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