01 - Geheimagent Lennet wird ausgebildet
Tagen. Verpflegung und Quartier werden gestellt.«
Montferrand empfing seinen Schüler in einem kleinen Raum, dessen ganze Einrichtung aus einem Tisch, einem Bett, einem Stuhl, einer Waschnische, einem Telefon, einem Behälter mit Lebensmitteln für eine Woche und etwa einem Dutzend maschinengeschriebener Blätter bestand, die mit einer Büroklammer zusammengeheftet waren.
»In ein oder zwei Monaten", erklärte Montferrand, »werden Sie zum FND-Kurs einberufen. In dieser Schule werden Sie in der Rolle eines anderen auftreten. Das ist aus Übungsgründen so vorgesehen. Diese beschriebenen Blätter hier enthalten den Lebenslauf des zwanzigjährigen Paul Armand. Sie müssen sich seine sämtlichen Charakterzüge zu eigen machen, die Kenntnisse nachholen, die er auf diesem oder jenem Gebiet haben könnte, und sich sehr genau an alle Einzelheiten seines Lebens erinnern. Sobald Sie sicher sind, Ihre Rolle von Grund auf zu beherrschen, heben Sie den Hörer ab und verlangen mich zu sprechen. Ich warne Sie: Ich werde Ihnen gewisse Fragen stellen, die nicht im Text vorkommen. Sie müssen also die Antworten dazu erfinden, ohne sich je zu widersprechen. Sie werden das schnell kapieren.«
»Wieviel Zeit geben Sie mir, um Armand zu werden? Um diese Rolle zu meistern?«
Montferrand lächelte. »Diese Verpflegung reicht für eine Woche. Die darauffolgende Zeit wollen wir hoffen, daß der Hunger Ihr Gehirn anspornt...«
Und Lennet blieb allein zurück. Er erfaßte rasch, daß Montferrand sich über ihn lustig gemacht hatte, als er von einer Woche sprach. Nach einigen Stunden hatte Paul Armand Gestalt angenommen: Sohn eines Unteroffiziers, in einer Kadettenanstalt erzogen, Bruder eines Mädchens, das eine Schwesternschule besuchte, Hobbys: Pferde und Briefmarken im ganzen ein braver Junge, aber noch ein wenig unfertig, nachtragend, zu Gewaltakten neigend. Am schwersten dürfte es sein, die Atmosphäre in einer Kadettenanstalt auszumalen, und gewiß auch, sich bei den Daten von Kinderkrankheiten und ähnlichen Einzelheiten nicht zu irren.
Lennet widmete den ersten Tag dem Studium der Papiere. Am zweiten Tag prüfte er sich selbst: Er stellte sich immer schwierigere Fragen und arbeitete eine besondere Antworttechnik aus. Einen weiteren Tag verwendete er dazu, sich noch irgend etwas Zusätzliches, Besonderes auszudenken und es in Paul Armands Lebenslauf einzubauen.
Am Morgen des vierten Tages hob er dann den Hörer ab. »Ich komme", meldete sich Montferrand.
An diesem Abend rief Montferrand abermals seinen Chef an.
»Nun?« fragte die metallische Stimme und ließ Neugier durchklingen.
»Unser Junge hat Talent, Chef. Natürlich übertreibt er noch etwas er hat zuviel Phantasie. Das macht seine Jugend. Da hat er doch eine komplizierte Geschichte von einer abenteuerlichen Afrikareise erfunden - wie er sagt, um seine Persönlichkeit etwas auszustaffieren, weil sie ihm sonst zu dürftig erscheine.«
»Keine schlechte Idee.«
»Nein, nur hat das alles nicht in den Einzelheiten gestimmt die Reiseroute des Schiffes, die Namen der Negerstämme und so weiter.«
»Sie sind sehr streng, Montferrand. Sonst noch irgendwelche Haken?«
»Von kleinen Schnitzern abgesehen - nein. Von Briefmarken versteht er allerdings nicht viel, was mich wundert.«
»Die Schule beginnt in einem Monat. Sagen Sie ihm, er soll bis dahin alle diese Dinge ordentlich beherrschen. Etwas anderes: Ich habe Ihnen eine gute Nachricht mitzuteilen.«
»Ich bin kein Freund von Änderungen.«
»Seien Sie nicht so pessimistisch! Ich habe die Ernennung Oberst Moriols durchgesetzt.«
»Oberst Moriol wird Kommandant der Schule?«
»Jawohl, mein Lieber.«
»Aber es kennt ihn doch niemand. Er gehört nicht dem FND
an.«
»Ich kenne ihn, und er wird ihm angehören. Er hat eine glänzende Laufbahn in der Sonderabteilung des Nachrichtendienstes hinter sich. Es sind sich alle darin einig, daß er über Takt, Menschlichkeit, Scharfsinn und ein gutes Gefühl für Qualität verfügt. Was wollen Sie noch mehr?«
»Ich - bestimmt nicht. Moriol ist ein Kerl von der Art, wie wir sie brauchen können.«
»Es wird an Ihnen sein, Montferrand, ihn einzuführen.«
»Haben Sie keine Angst, Chef. Der ist, so wie ich ihn mir vorstelle, nach einer Woche im Bild.«
Das Abenteuer beginnt
Einen Monat später stand ein Autobus unter vielen anderen an der Endstelle des Hauptbahnhofs. Nichts unterschied ihn von den übrigen - man mußte seine Geheimnummer kennen, um ihn herauszufinden. Zwei-
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