01 - Gott schütze dieses Haus
die meisten Männer zu ihren Sekretärinnen.
»Schwere Kontusion an der rechten Schläfe«, verkündete er vergnügt, »gefolgt von einem Riß der Halsschlagader. Keine Papiere, kein Geld, ausgezogen bis auf die Unterwäsche. Das ist eindeutig der Bahnhofskiller.« Mit einer schwungvollen Handbewegung vollendete er seine Aufzeichnungen.
Hillier betrachtete den kleinen Mann mit heftigem Widerwillen. »Herrgott noch mal, diese Gruselnamen, die sich die Presse immer ausdenkt!«
»Ist das der Tote vom Waterloo-Bahnhof?« fragte Webberly.
Edwards sah Hillier an. Man merkte ihm deutlich an, wie er überlegte, ob er sich mit ihm auf eine Diskussion darüber einlassen sollte, daß man unbekannten Mördern einen Schauernamen gab, um so die Öffentlichkeit aufzurütteln. Dann aber wischte er sich, als wollte er diesen Gedanken auslöschen, mit dem Ärmel seines Laborkittels über die Stirn und wandte sich seinem unmittelbaren Vorgesetzten zu.
»Ja, Waterloo.« Er nickte. »Nummer elf. Dabei sind wir noch nicht mal mit Vauxhall ganz fertig. Beide der gleiche Typ wie die bisherigen Opfer des Killers. Penner oder Stadtstreicher. Abgebrochene Nägel. Verdreckt. Ungepflegtes Haar. Verlaust. Nur der Tote vom King's-Cross-Bahnhof fällt völlig aus dem Rahmen. Da gibt's immer noch keine Anhaltspunkte. Keine Papiere. Und bis jetzt auch noch keine entsprechende Meldung beim Vermißtendezernat. Mir völlig schleierhaft.« Er kratzte sich mit dem Ende seines Füllers am Kopf. »Wollen Sie die WaterlooAufnahme? Ich hab' sie mitgebracht.«
Webberly deutete zur Wand, wo bereits die Fotografien der zwölf letzten Ermordeten aufgehängt waren, die alle auf die gleiche Weise in oder nahe bei einem Londoner Bahnhof getötet worden waren. Dreizehn Morde jetzt in knapp mehr als fünf Wochen. Die Presse forderte erbittert eine Verhaftung. Als ließe ihn das völlig kalt, kramte Edwards, leise vor sich hin pfeifend, auf Webberlys Schreibtisch nach einer Reißzwecke. Dann trug er das letzte Opfer zur Wand.
»Keine üble Aufnahme.« Er trat zurück, um sein Werk zu bewundern. »Den haben wir ganz gut zusammengeflickt.«
»Hören Sie auf, Mann!« rief Hillier explosiv. »Da kann einem ja das kalte Grausen kommen. Sie könnten wenigstens Ihren schmutzigen Kittel ausziehen, wenn Sie hierherkommen. Haben Sie denn überhaupt kein Feingefühl? Hier oben arbeiten auch Frauen!«
Edwards trug geduldige Aufmerksamkeit zur Schau, doch sein Blick glitt über Hillier hin und blieb einen Moment an dem fleischigen Hals haften, der in Falten über dem Kragen hing, und dann an dem buschigen Haar, das Hillier gern als Löwenmähne bezeichnete. Er zuckte die Achseln und warf Webberly dabei einen verständnisinnigen Blick zu. »Ein echter Gentleman«, bemerkte er, ehe er aus dem Zimmer ging.
»Schmeiß ihn raus!« brüllte Hillier, als sich die Tür hinter dem Pathologen schloß.
Webberly lachte. »Trink einen Sherry, David«, sagte er. »Er steht im Schrank hinter dir. Wir alle sollten eigentlich an einem Samstag wie heute gar nicht hiersein.«
Zwei Sherrys beschwichtigten Hilliers Zorn über Bertie Edwards beträchtlich. Er stand vor Webberlys Schauwand und betrachtete verdrießlich die dreizehn Fotografien.
»Eine verdammte Sauerei ist das«, bemerkte er grimmig.
»Victoria, King's Cross, Waterloo, Liverpool, Blackfriars, Paddington. Verdammt noch mal, warum nicht wenigstens dem Alphabet nach?«
»Verrückten fehlt häufig die organisatorische Ader«, meinte Webberly gelassen.
»Fünf der Opfer haben nicht einmal Namen«, klagte Hillier.
»Papiere, Geld und Kleider werden den Opfern jedesmal abgenommen. Wenn keine Vermißtenmeldung vorliegt, versuchen wir's zunächst mit den Fingerabdrücken. Du weißt, wie lange so was dauert, David. Wir tun unser Bestes.«
Hillier drehte sich um. Ja, das wußte er mit Sicherheit, daß Malcolm immer sein Bestes tat und still im Hintergrund blieb, wenn der Lorbeer verteilt wurde.
»Entschuldige. Ich war wohl unwirsch?«
»Ein bißchen.«
»Wie üblich. Also, um noch mal auf den neuesten Zusammenstoß zwischen Nies und Kerridge zurückzukommen - worum geht's da eigentlich?«
Webberly sah auf seine Uhr.
»Wieder mal um einen Mord in Yorkshire. Sie schicken uns jemanden mit den Informationen. Einen Priester.«
»Einen Priester? Lieber Gott, was ist das denn für ein Fall?«
Webberly zuckte die Achseln. »Offenbar ist er der einzige, auf den sich Nies und Kerridge als Überbringer der Informationen einigen
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