Die Voegel
Am dritten Dezember schlug der Wind über Nacht um, und es wurde Winter.
Bis dahin war der Herbst milde gewesen, lind. Das Laub hatte goldrot an den Ästen gehangen, die Hecken waren noch grün gewesen. Wo der Pflug die Erde aufgeworfen hatte, glänzte sie fett und fruchtbar.
Nat Hocken bezog wegen seiner Kriegsverletzung eine Rente und war auf dem Gehöft nicht vollbeschäftigt. Er hatte dort nur drei Tage in der Woche zu tun, und man überließ ihm die leichteren Arbeiten: Hecken stutzen, Dachstroh legen, Ställe und Scheunen instand halten.
Obgleich er Frau und Kinder hatte, war er ein Einzelgänger; er arbeitete am liebsten allein. Wenn er an der äußersten Spitze der Halbinsel, dort, wo das Meer die Äcker von zwei Seiten umspülte, das Ufer zu befestigen oder ein Gatter auszubessern hatte, war er glücklich. Zur Mittagszeit pflegte er Rast zu halten, die Fleischpastete zu essen, die seine Frau ihm gebacken hatte, und von seinem Platz auf dem Klippenrand die Vögel zu beobachten.
Der Herbst war die beste Zeit dafür. Besser als der Frühling. Im Frühling flogen die Vögel landeinwärts, unbeirrbar, zielsicher; sie wussten, wohin sie gehörten, Rhythmus und Gesetz ihres Lebens duldeten keinen Aufschub.
Im Herbst wurden alle, die nicht über das Meer fortzogen, sondern im Lande überwintern wollten, von der gleichen, drängenden Unruhe gepackt, folgten aber, da ihnen der Flug in die Ferne versagt war, ihren eigenen Regeln. In großen Schwärmen strichen sie über die Halbinsel, rastlos, getrieben und sich in der Bewegung erschöpfend; bald schraubten sie sich kreisend in den Himmel, bald stießen sie zur Futtersuche auf den fetten, umgebrochenen Boden herab; aber selbst das Fressen geschah gleichsam ohne Hunger, ohne Gier. Rastlosigkeit trieb sie wieder in die Lüfte empor. Schwarz und Weiß gemischt, Dohlen und Möwen in seltsamer Verbrüderung suchten Befreiung; niemals zufrieden, niemals in Ruhe.
Schwärme von Staren, rauschend wie Seide, zogen, von demselben Wandertrieb beherrscht, zu neuen Futterplätzen, und die kleineren Vögel, die Finken und Lerchen, schwirrten, wie unter einem Zwang, von den Bäumen in die Hecken.
Nat sah ihnen zu; er beobachtete auch die Seevögel, die unten in der Bucht gelassen auf die Ebbe warteten. Austerndiebe, Rotschenkel, Wasserläufer und Brachvögel schaukelten lauernd vor der Küste auf dem Wasser; wenn die träge See sich saugend vom Ufer zurückzog, Streifen von Seetang bloßlegte und die Kieselsteine gegeneinander schepperten, stürzten sie an den Strand. Dann erfasste auch sie derselbe Zugtrieb. Kreischend, pfeifend, gellend glitten sie über die blanke See und verließen die Küste. Hastig, drängend; wohin aber und zu welchem Ziel? Der ruhelose Trieb des Herbstes, dunkel und unersättlich, hatte sie in seinen Bann geschlagen; sie mussten sich scharen, kreisen, kreischen, sie mussten sich im Fluge erschöpfen, bevor der Winter kam.
Vielleicht empfangen die Vögel im Herbst eine Botschaft, eine Mahnung, dachte Nat, während er auf dem Klippenrand an seiner Pastete kaute. Der Winter naht. Viele von ihnen werden zugrunde gehen; und wie Menschen, die ihren vorzeitigen Tod ahnen, zu Taten oder Narrheiten getrieben werden, so auch die Vögel.
In diesem Herbst waren die Vögel ruheloser als sonst, ihre Erregtheit spürbarer gewesen, da die Tage so still waren. Wenn der Traktor seine Spur die westlichen Hügel hinauf und hinunter zog und Nat, beim Heckenschneiden, ihn hinabkriechen und wenden und die Silhouette des Bauern auf dem Führersitz sah, verschwand die ganze Maschine mit dem Mann darauf zeitweise in einer großen Wolke schwirrender, kreischender Vögel. Es waren viel mehr als gewöhnlich, dessen war Nat sicher. Im Herbst folgten sie stets dem Pflug, jedoch bei weitem nicht in so großen und lärmenden Schwärmen wie jetzt.
Nat erwähnte es am Feierabend.
»Ja, es sind mehr Vögel da als sonst, ich hab's auch bemerkt«, meinte der Bauer. »Und frech sind sie, haben nicht mal vor dem Traktor Respekt. Heute Nachmittag schossen ein paar Möwen so dicht an meinem Kopf vorbei, dass ich dachte, sie reißen mir die Mütze ab. Als sie über mir waren und mir die Sonne noch dazu in die Augen schien, konnte ich kaum erkennen, was ich vor Händen hatte. Ich hab das Gefühl, wir kriegen anderes Wetter. Es wird einen bösen Winter geben. Darum sind die Vögel auch so unruhig.«
Als Nat über die Acker heimwärts stapfte und in den Heckenweg zu seinem Häuschen einbog,
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