01 - komplett
über sich und sah ihn mit einer gewissen trotzigen, zerzausten Würde an. Am liebsten hätte er sie geküsst, kam dann aber doch zu dem Schluss, dass dies vielleicht nicht der geeignete Moment sei.
„Oh, ich habe immer gewusst, dass dein Vater diese Ehe wollte, nicht du“, erklärte Melicent bitter. „Ich wusste, dass dir mehr an Beaumont als an mir lag! Wenn du dann zu mir ins Bett gekommen bist, hast du mich berührt, als würdest du mich hassen! Und als ich weggegangen bin, hast du dir nicht die Mühe gemacht, mir nachzureisen. Du hast mir ja nicht einmal geschrieben! Da hatte ich ja noch mit deinem Verwalter mehr Briefkontakt als mit dir! Für einen einzigen Brief von dir hätte ich alles gegeben!“ Sie schluckte hart. „Ich war so wütend. Aber letzte Nacht habe ich das alles vergessen und war so schamlos und so ... so dreist!“ Sie stieß ein kleines, zorniges Fauchen aus. „Ich kann mir das nicht verzeihen!“, schloss sie ein wenig verloren. „Nicht da ich weiß, dass du dir nie etwas aus mir gemacht hast und dir auch nie etwas aus mir machen wirst!“
Alex starrte sie an, als hätte sie ihm eine Pfanne auf den Kopf geschlagen. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, bis es völlig zerzaust war. Er sah verwirrt und verstört und dabei so verdammt attraktiv aus, dass Melicent sich auf der Stelle schwor, dass sie ihm nicht – wirklich und wahrhaftig nicht – vergeben und sich wieder auf dieselbe dumme, unreife und sinnlose Weise in ihn verlieben würde wie damals als neunzehnjährige Braut.
Alex ergriff ihre Hände. Sie überließ sie ihm, denn es fühlte sich richtig an, obwohl das doch eigentlich falsch war.
„Melicent.“ Er klang elend. „Liebling. Ich hatte ja keine Ahnung. Ich dachte, dir sei nicht bewusst ...“ Er hielt inne.
Melicent sank das Herz.
Ich dachte, dir sei nicht bewusst ...
Obwohl sie gewusst hatte, dass er sich rein gar nichts aus ihr machte, war es doch schrecklich, es so bestätigt zu bekommen. Sie senkte den Kopf und starrte auf ihre Hand, die immer noch in seiner lag.
„Ich wusste es von Anfang an“, sagte sie. „Dein Vater hat dich gezwungen, mich zu heiraten, nicht wahr? Ich weiß nicht wie oder warum, aber ich weiß, dass er das gemacht hat.“
„Er hat gedroht, mir Beaumont zu entziehen“, erklärte Alex schlicht. „Er hat mir erklärt, ich hätte keinerlei Anrecht darauf, die Güter zu verwalten, und damit hatte er natürlich vollkommen recht. Die Güter waren sein Eigentum, und danach würden sie auf meinen älteren Bruder Henry übergehen. Ich hatte überhaupt keine Ansprüche.“
„Aber du liebst Beaumont von Herzen“, sagte Melicent. Ihr war kalt vor Entsetzen.
Das also war die Drohung, mit der der Duke seinen Sohn zur Heirat gezwungen hatte
– ihm das Einzige zu nehmen, das seinem Leben einen Sinn gab. „Außer dir hat sich doch nie jemand um das Land oder die Leute gekümmert“, meinte sie. „Ohne dich wären die Güter schon vor Langem verwahrlost.“
Alex sah sie an. Seine dunklen Augen wirkten müde. „Papa wollte dafür sorgen, dass der Titel erhalten bleibt. Er wusste, dass Henry niemals heiraten würde.
Geradeheraus gesagt, kann Henry sich nicht für das weibliche Geschlecht erwärmen.
Daher hat mein Vater beschlossen, mich unter Druck zu setzen, obwohl ich noch so jung und nicht bereit für die Ehe war.“ Reuig sah er sie an. „Ich war so mit meinen Büchern und Beaumont beschäftigt, dass ich einfach keinen Platz hatte für irgendetwas anderes oder irgendjemand anderen. Es tut mir leid, Melicent.“
„Du warst zornig“, flüsterte Melicent, „und jetzt verstehe ich auch, warum.“
„Ich habe versucht, es dir gegenüber nicht allzu deutlich zu zeigen“, erklärte Alex.
„Ich wusste ja, dass du nichts dafür konntest.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber du hast recht – immer wenn ich dich gesehen habe, wenn ich dich berührt habe, habe ich so großen Zorn empfunden wegen der Erpressung. Es war wohl unvermeidlich, dass du es auch gespürt hast.“ Sein Griff wurde fester. „Ich habe dir sehr wehgetan. Es tut mir so furchtbar leid, Melicent.“
Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie würde nicht sagen, dass es nichts ausmache, denn es machte etwas aus. Es machte ihr sogar eine ganze Menge aus. Aber jetzt, wo sie erkannte, in welche unmögliche Lage er als junger Mann gebracht worden war, konnte sie seinen Zorn und seine Verzweiflung verstehen, und mit dem Verstehen kam das Verzeihen.
„Bist du noch zornig auf deinen
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