01 - Winnetou I
Hawkens nicht gewesen wäre, mir wohl nicht die Zeit genommen hätte, mich in den Fertigkeiten zu üben, welche ein Präriejäger besitzen muß. Übrigens hielten wir diese Übungen geheim; sie wurden stets in solcher Entfernung vom Lager vorgenommen, daß man uns nicht beobachten konnte. Sam wollte es so, und als ich ihn einmal nach dem Grund fragte, antwortete er:
„Geschieht Euch zuliebe, Sir. Ihr habt so wenig Geschick für solche Sachen, daß ich mich in Eure Seele hinein schämen müßte, wenn diese Kerls uns dabei sähen. So, nun wißt Ihr es, hihihihi. Nehmt es Euch zu Herzen!“
Die Folge davon war, daß die ganze Gesellschaft mir in Beziehung auf Waffenführung und körperliche Geschicklichkeit nichts zutraute, was mich aber nicht im mindesten kränken konnte.
Trotz aller vorhin erwähnten Hindernisse waren wir schließlich doch so weit gekommen, daß wir den Anschluß an die nächste Sektion nach Verlauf von vielleicht einer Woche erreichen konnten. Um dies dort zu melden, mußte ein Bote abgesandt werden. Bancroft erklärte, daß er diesen Ritt selbst machen und einen der Westmänner als Führer mitnehmen wolle. Diese Absendung einer Nachricht war nicht die erste, welche geschah, denn wir hatten sowohl mit der hinter als auch mit der vor uns liegenden Sektion in einem immerwährenden Botenverkehr stehen müssen. Infolgedessen wußte ich, daß der vor uns befehligende Ingenieur ein sehr tüchtiger Mann war.
Es war an einem Sonntag früh, als Bancroft aufbrechen wollte. Er hielt es für nötig, vorher einen Abschiedstrunk zu tun, an welchem sich alle beteiligen sollten. Ich allein wurde nicht dazu eingeladen, und Hawkens, Stone und Parker folgten der an sie ergangenen Aufforderung nicht. Der Trunk zog sich, wie ich gleich geahnt hatte, so sehr in die Länge, daß er erst dann aufhörte, als Bancroft kaum mehr lallen konnte. Seine Zechgenossen hatten gleichen Schritt mit ihm gehalten und waren nicht minder betrunken als er. Von dem beabsichtigten Ritt konnte für jetzt keine Rede sein. Die Kerls taten, was sie in diesem Zustand stets getan hatten: sie krochen hinter die Büsche, um auszuschlafen.
Was nun tun? Der Bote mußte fort, und diese Menschen schliefen nun jedenfalls bis weit in den Nachmittag hinein. Es war am besten, ich unternahm den Ritt; aber konnte ich fort? Ich war überzeugt, daß bis zu meiner Rückkehr nach voraussichtlich vier Tagen von Arbeit keine Rede sein werde. Während ich mit Sam Hawkens mich darüber beriet, deutete er mit der Hand nach Westen und sagte:
„Wird nicht nötig sein, daß Ihr reitet, Sir. Könnt die Botschaft den beiden mitgeben, welche dort kommen.“
Als ich in die angegebene Richtung blickte, sah ich zwei Reiter, welche sich uns näherten. Es waren Weiße, und in dem einen erkannte ich einen alten Scout, welcher schon einige Male bei uns gewesen war, um uns von der nächsten Sektion Nachricht zu bringen. Neben ihm ritt ein jüngerer Mann, welcher nicht wie ein Westläufer gekleidet war. Den hatte ich noch nicht gesehen. Ich ging ihnen entgegen; als ich sie erreichte, hielten sie ihre Pferde an, und der Unbekannte fragte mich nach meinem Namen. Als ich ihm denselben genannt hatte, betrachtete er mich mit freundlich forschendem Blick und sagte:
„So seid Ihr also der junge deutsche Gentleman, der hier alle Arbeit tut, während die andern auf der faulen Haut liegen! Ihr werdet wissen, wer ich bin, wenn ich Euch meinen Namen sage, Sir. Ich heiße White.“
Das war der Name des Dirigenten der westlich nächsten Sektion, zu welchem der Bote hatte geschickt werden sollen. Daß er selbst kam, mußte einen Grund haben. Er stieg vom Pferd, gab mir die Hand und ließ sein Auge suchend über unser Lager schweifen. Als er die Schläfer hinter den Büschen und dann auch das Branntweinfaß erblickte, ging ein verständnisvolles, aber keineswegs freundliches Lächeln über sein Gesicht.
„Sind wohl betrunken?“ fragte er.
Ich nickte.
„Alle?“
„Ja. Mr. Bancroft wollte zu Euch, und da hat es einen kleinen Abschiedstrunk gegeben. Ich werde ihn wecken und – – –“
„Halt!“ fiel er mir in die Rede. „Laßt sie schlafen! Es ist mir lieb, daß ich mit Euch reden kann, ohne daß sie es hören. Gehen wir zur Seite und wecken sie nicht auf! Wer sind die drei Männer, die dort bei Euch standen?“
„Sam Hawkens, Will Parker und Dick Stone, unsere drei zuverlässigen Scouts.“
„Ah, Hawkens, der kleine, sonderbare Jäger. Tüchtiger Kerl; habe von ihm
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