Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0101 - Die Menschentiger

0101 - Die Menschentiger

Titel: 0101 - Die Menschentiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franc Helgath
Vom Netzwerk:
Kon Siang wurde von der Fliehkraft in den Schalensitz der Pilotenkanzel gepreßt. Der Steuerknüppel vibrierte in seinen Händen, als wolle er sich selbständig machen. Für derartige Flugmanöver war die Boeing nicht gebaut worden. Das Ächzen und Dröhnen der Tragflächenverstrebungen drang bis in die besonders schallisolierte Kanzel.
    Schweiß rann auch in Kon Siangs Mund und schmeckte salzig.
    Die Tigerfratze vor dem Cockpit wollte nicht weichen. Sie rückte mit der Nase des Flugzeugs zur Seite, war hoch wie ein Wolkenkratzer und leuchtete auf eine gespenstische Art und Weise von innen heraus.
    Kon Siang war Thailänder, war westlich erzogen worden und hatte bei der Westcoast Flying Corporation in Los Angeles sein Patent als Flugkapitän gemacht. Mit über achttausend Flugstunden galt er als einer der erfahrensten Piloten seiner Linie. Und doch kamen ihm jetzt schon längst vergessen geglaubte Sagen und Legenden aus seiner an Geschichten so reichen Heimat in den Sinn, bahnten sich einen Weg aus dem Unbewußten in die Oberschichten seines rationalen Denkens.
    Wirr wirbelten sie durcheinander, die Basras, die Waldgeister, und die Kruliangs, die Dämonen, die Schluchten und die Wege beherrschten. Kabro, der Dschungelgott mit den riesigen Augen, die wie polierte Murmeln aus dem fratzenhaft verzerrten Gesicht ragten. Kon Siang mußte sich zwingen, nicht in jene Sagenwelten seiner Kindheit zurückzugleiten.
    Er war Pilot einer weltumspannenden Luftfahrtgesellschaft, und er war — verdammt noch mal — einer ihrer besten.
    Alles mögliche kam ihm in den Sinn. Daß er in Bombay vielleicht schlecht gegessen hatte. Magendrücken kann Halluzinationen hervorrufen. Daß er vielleicht eine Ozonvergiftung hatte, von der man in letzter Zeit soviel hörte. Aber dafür flogen sie viel zu niedrig.
    Er hatte ohnehin kaum mehr Zeit, sich noch recht viel zu überlegen, denn der Tigerrachen kam näher und näher.
    Er wandte sich zum Funker um. »Was sagt Dacca?«
    »Mist«, antwortete der kleine Mann mit olivfarbener Haut auf thai. »Die da unten verstehen kein Wort Englisch.«
    Kon Siang nickte nur verbissen. Er hatte etwas Ähnliches befürchtet. Der Dacca International Airport von Bangladesh konnte nachts nicht angeflogen werden, weil die Randbefeuerung fehlte. Nur die alten Fokker Friendships der staatseigenen Biman gingen das Wagnis ein, auf einer Piste zu landen, die links und rechts von brennenden Ölfässern markiert wurde. Deshalb saß vermutlich auch kein englisch sprechender Lotse im Tower.
    Kon Siang war allein auf sich und seine Crew angewiesen. Die Verantwortung für die 162 Passagiere im Rumpf des Vogels nahm ihm niemand ab.
    Er rief die Bordküche, in der sich Sri Lüjang, die Chefstewardeß, aufhalten mußte. Sie war sofort am Mikro.
    »Seid ihr denn dort vorne verrückt geworden?« kam es schrill aus dem quäkenden Lautsprecher. »Eine Boeing ist kein Abfangjäger. In der Kabine geht alles drunter und drüber.«
    Kon Siang konnte das Gejammere und Gekreische hören, und es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, was zur Zeit im Rumpf der Maschine los war.
    »Bei uns auch«, antwortete Kon Siang, plötzlich unsagbar müde und resigniert geworden. »Bei uns auch.«
    Kon Siang glaubte, bereits die grellrote Zunge des Tigerrachens zu sehen und einen stinkenden, faulenden Raubtieratem zu spüren…
    ***
    Zamorra erging es kaum anders als den übrigen Passagieren. Der Pilot hatte die Maschine ohne jede Vorwarnung ab vom Kurs gerissen. Panik füllte den Schlauch des Flugzeugrumpfes. Frauen, Kinder und Männer hatte es wie Gummibälle von ihren Sitzen gehoben. Aus einigen Gesichtern tropfte Blut, das von Platzwunden herrührte.
    Erst nach und nach wurde Professor Zamorra sich des Höllenlärms bewußt, der in der Kabine ausgebrochen war und das Stöhnen und krachende Beben der Tragflächen übertönte. Vielleicht war das ganz gut so, wenn jeder mehr mit sich selbst beschäftigt war. Zamorra jedenfalls verstand genug von der Fliegerei, um zu erkennen, daß der Riesenvogel über die rechte Tragfläche abschmierte und wie ein Blatt im Herbstwind zu taumeln begann.
    Um die neuntausend Fuß hoch mochten sie sein. Nur eine Frage sehr kurzer Zeit, bis sie diese Strecke bis zur Bodenberührung überwunden hatten.
    Bodenberührung…
    Zamorras Mund umspielte ein sarkastisches Lächeln. Er hatte schon so oft in scheinbar unentrinnbaren Fallen gesteckt, daß es ihm manchmal selbst wie ein Wunder vorkam, daß er allen mit

Weitere Kostenlose Bücher