0103 - Im Bannstrahl des Verfluchten
der Telefonzellen zur Abflughalle 16 B. Es war allerhöchste Zeit, wenn er noch rechtzeitig in die Maschine kommen wollte. Alle drei Triebwerke der Vickers Viscount waren bereits angelaufen.
Verzweifelt winkend wartete Nicole am Eingang des Faltschlauchs, durch den sie direkt in den Rumpf der Maschine gelangen konnte. Sie deutete dabei gestenreich auf die Normaluhr, als ob Professor Zamorra nicht selbst wüßte, daß er eigentlich schon viel zu spät dran war.
Nun begann auch die Stewardeß zu winken, wobei sie sich nicht bemühte, den tadelnden Ausdruck auf ihrem hübschen, aber nichtssagenden Gesicht zu unterdrücken.
»Kommen Sie, Monsieur«, sagte sie und quälte sich ein routinemäßiges Lächeln ab. »Der Tower hat bereits Rollerlaubnis gegeben.«
Zamorra nickte nur kurz und hetzte durch den Schlauch in die Maschine, wo sie Plätze in der ersten Klasse angewiesen bekamen. Die Stewardeß von vorher lächelte jetzt wesentlich freundlicher. Nun verstand sie auch, warum man auf diesen Fluggast gewartet hatte. Alle Leute, die sich in die Erste Klasse einkauften, genossen bei fast allen Liniengesellschaften ein gewisses Maß an Narrenfreiheit, denn sie waren es hauptsächlich, die Geld in die Kassen der Gesellschaften brachten und auch einen nur mäßig besetzten Flug noch zu einem Geschäft werden ließen.
Nicole und Zamorra hatten sich noch kaum gesetzt, als sich der Falttunnel mit einem schmatzend-metallischen Laut vom glatten Rumpf der Vickers löste und die Motoren noch lauter aufdröhnten. Die üblichen Durchsagen erfolgten, während sie darauf warteten, daß der Schub aus drei Strahltriebwerken sie in die dicken Polster pressen würde.
Vor ihnen rollte eine Boeing der Swissair aus ihrem Parkway. Sie würde sich noch vor ihnen in die Lüfte erheben. Den Gästen des Flugs 72 verblieb noch kurze Zeit der Erdverbundenheit.
»Du hast ihn also nicht erreicht«, stellte Nicole sachlich fest.
Zamorra nickte bestätigend mit dem Kopf.
»Obwohl die Verbindung endlich klappte. Wie lange bin ich eigentlich in der Telefonkabine gewesen?«
»Fast eine halbe Stunde.«
»Nun - ganz zum Ende kam ich durch. Aber es wurde nicht abgehoben.«
»Mach dir nur deswegen keine Sorgen«, sagte Nicole ein wenig zu schnell und ein wenig zu schrill, als daß sie hätte verbergen können, daß ihr diese Nachricht auch nicht gefiel. Professor Zamorra neigte nicht zu überhasteten Entschlüssen, wenn sie nicht einer bitteren Dringlichkeit entsprangen.
Zamorra antwortete nicht. Um diese Jahreszeit wurde es im Südwesten Finnlands noch vor sechs Uhr abends dunkel. Jetzt war es halb neun vorbei. Und wenn dort schon ein Unwetter tobte, wie man Nicole versichert hatte, dann war Kim Lisöjn bestimmt nicht zu einem abendlichen Spaziergang aufgebrochen. Ausschließen konnte er das natürlich nicht. Doch der dumpfe Druck, der als Sorge über all seinen Überlegungen lastete, blieb. Er blieb auch noch, als die Lichter des nächtlichen Paris schon längst in einem Brei zäher Dunkelheit erloschen waren und die SAS-Maschine die Airroute Eu 12 nach Skandinavien einschlug.
Er hörte nur halb hin, als der Kapitän sich aus dem Cockpit meldete und seine Gäste begrüßte, ein paar Angaben über Reiseweg, Flughöhe und Zeiten machte, zu welchen sie diese oder jene Stadt überfliegen würden.
Die Stewardeß kam aus der Galley für Erster-Klasse-Passagiere und verteilte Drinks, die hier kostenlos waren.
Doch das war nicht der Grund dafür, daß Professor Zamorra sich gleich einen doppelten Whisky einschenken ließ.
***
Diesmal dauerte es wesentlich länger, bis Kim Lisöjn einen Kontakt mit jenem Wesen herstellen konnte, zu dem einmal der vor ihm liegende Totenschädel gehört haben mußte. Er wollte schon wieder aufgeben, als er sich daran erinnerte, daß es noch relativ früh am Abend war. Beim vergangenen Versuch mußte es schon auf Mitternacht zugegangen sein, wenn er sich recht erinnerte.
Er stand auf, um nochmals vom Wodka zu trinken, obwohl er bei seinen Experimenten sonst keinen Alkohol zu sich nahm. Aber in ihm steckte immer noch ein Rest von Ärger über sich selbst, weil er sich Astrid gegenüber nicht richtig benommen hatte. Und diesen Ärger wollte er jetzt ganz hinunterspülen, um den Kopf für das Kommende freizuhaben, wie er sich selbst einredete.
Nun hatte er schon seinen ersten Vorsatz gebrochen - nämlich den, nichts mehr in diese Richtung zu unternehmen, solange er keine Antwort von diesem französischen Professor
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