0107 - Die Bestie von Manhattan
achselzuckend: »Ich werde mit dir essen und hinterher eine Flasche Sekt in irgendeiner Bar trinken.«
Linda Carell hob den Kopf und musterte ihn spöttisch.
»Wie stellst du dir das vor? Soviel Geld verdiene ich nicht, dass ich mir Sekt leisten könnte.«
»Hab ich was von Geld gesagt? Da, das wird wohl reichen?«
Er zog ein zusammengeknülltes Bündel Banknoten aus der Hosentasche. Es waren ausnahmslos Zwanzigernoten, und der Menge nach mussten es mindestens fünfhundert Dollar sein.
Linda stieß einen leichten Ruf der Überraschung aus.
»Meine Güte! Wie kommst du denn an soviel Geld?«
Ihr Ton war bereits wesentlich freundlicher.
»Das ist doch nicht viel«, sagte er lässig. »Ich habe vor ein paar Wochen eine Spedition gegründet. Im Hafen, da werden die Lastwagen am meisten benötigt. Das Geschäft geht großartig. Mit einem geliehenen Truck habe ich angefangen, jetzt gehört der Wagen mir, und in ein paar Wochen kann ich den nächsten kaufen.«
Es war eine Lügengeschichte.
Linda Carell sah ihn schwärmend an.
»In dir steckt was«, hauchte sie, »das habe ich immer gewusst.«
Ja, und damals hast du mich zum Teufel gejagt, nur weil einer aufkreuzte, der dir jeden Monat ein Kleid für zwanzig Dollar schenken konnte, dachte George, ohne eine Miene zu verziehen. Du bist ein kleines Luder. Nur weiß ich das ganz genau. Du legst mich nicht herein, aber ich dich.
Linda Carell wusste nichts von diesen Gedanken. Sie wusste überhaupt nur eine einzige Sache in der Welt: dass sie hübsch war und auf Männer wirkte. Dieser Tatsache hatte sie die Stellung im Zahlbüro der Versicherungsgesellschaft zu verdanken, eine gut bezahlte Stellung, bei der sie wenig zu tun hatte.
Sie schob leise ihren Arm in den seinen.
Sieh an, dachte er. Was hättest du wohl getan, wenn ich dir nicht die Scheinchen gezeigt hätte?
Er ging mit ihr bis zum nächsten Taxistand, stieg dort in ein Yellow Cab und nannte den Namen eines chinesischen Restaurants. Bis nach dem Essen sprach er mit ihr über gleichgültige Dinge, aber als sie endlich in einem kleinen Lokal am Broadway saßen, kam er zu dem einzigen Thema, das ihn interessierte.
»Wie war’s heute bei der Arbeit?«, fragte er, als eine Gesprächspause eingetreten war.
Linda wurde lebhaft. Sie verzog ihr hübsches Gesichtchen zu einer wütenden Grimasse und schnaufte: »Ich habe scheußlichen Ärger gehabt. Die Rutherford wollte unbedingt einen Brief der L. Müler Company unter ›L‹ abheften! Stell dir das vor! Seit wann heftet man die Post nach dem Vornamen der Leute ab?«
»Unglaublich«, sagte George Andrew kopfschüttelnd. »Aber wer ist eigentlich diese Rutherford?«
»Unsere Stenotypistin.«
»Habt ihr nur die eine?«
»Nein. Drei im Ganzen.«
»Und was bist du?«
Linda erklärte würdevoll: »Chefsekretärin.«
»Und wer ist euer Chef?«
»Stew Conder.«
»Er hat natürlich ein eigenes Zimmer?«
»Natürlich.«
»Und ihr drei sitzt nebenan?«
»Wieso drei? Wir sind sechs.«
»Sechs?«, staunte Andrew. »Du sagtest doch was von drei?«
Er schenkte ihr Glas wiedèr voll. In der Hitze des für Linda interessanten Gesprächs merkte sie nicht, dass er sich wesentlich mehr zurückhielt, was den Konsum des prickelnden Getränkes anbetraf, als sie.
»Ich sagte drei Stenotypistinnen, mein Lieber. Dazu komme ich als Chefsekretärin und dann kommen noch die beiden Buchhalter, die auch die beiden Kassenschalter haben.«
»Aha. Dann gibt es bei euch also auch so eine Art Barriere, hinter der die Männer an ihren Schaltern sitzen?«
»Sicher.«
»Und ihr sitzt hinter der Barriere an euren Schreibtischen?«
»Klar. Wo sonst?«
»Ist die Bude denn wenigstens vernünftig eingerichtet?«
Linda hatte ihr Glas bereits wieder ausgetrunken. Sie nickte kichernd.
»Es geht. Früher war ich mal in einem Büro, da gab es sechs Pfeiler. Man wurde verrückt, wenn man von einem Aktenregal zum anderen wollte. Man musste wegen der Pfeiler und der Möbel Irrwege gehen wie in einem Labo… eh… Labi…«
Sie brach hilflos ab.
»Labyrinth«, half Andrew.
»Ja. Das meine ich.«
»Hat euer Chef auch eine schwere Doppeltür vor seiner Bude? So ledergepolstert und so?«
»Ja. Damit er den Lärm von unseren Schreibmaschinen nicht zu hören braucht. Aber seit wann interessierst du dich denn für so etwas?«
Andrew lachte.
»Ach, weißt du, manchmal träume ich davon, dass ich vielleicht auch mal hinter ’ner ledergepolsterten Doppeltür sitzen könnte. Vielleicht klappt
Weitere Kostenlose Bücher