0112 - Das Hexendorf
Flittchen stehst unter Rauschgift oder hast einen Dachschaden. Du bist gemeingefährlich. Dich liefere ich bei der Autobahnpolizei ab.«
»Nach Paris.«
Nicole wandte sich Janvier zu. Bruton hockte zusammengesackt zwischen ihnen. Das schöne blonde Mädchen starrte den Lastwagenfahrer an, Nicole murmelte ein seltsames Wort und bewegte den gekrümmten Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand in schlangenförmigen Linien. Der rote Punkt glühte in ihren Pupillen.
Janvier spürte einen Schmerz, der sich von der rechten Schläfe her durch sein Gehirn zog. Sein Zorn und sein Widerstand erloschen. Selbst seine Müdigkeit verflog. Er war nur noch ein gehorsamer Diener des schönen blonden Mädchens.
»Wohin wollen sie in Paris, Mademoiselle?« fragte er.
Die Worte wurden Nicole Duval in den Mund gelegt, sie anwortete: »Setzen Sie mich beim Flughafen Orly ab.«
Das war ein großer Umweg für Janvier. Wenn er vom Orly-Airport zu den Markthallen wollte, mußte er durchs Verkehrsgewühl der Innenstadt. Er würde bestimmt zwei bis drei Stunden verlieren. Aber Pierre Janvier protestierte nicht im geringsten.
Er antwortete: »Selbstverständlich, Mademoiselle.«
***
Drei Wochen verstrichen. Professor Zamorra und Bill Fleming wurden immer nervöser. Denn von Nicole Duval fehlte jede Spur. Inzwischen waren die französische Polizei und sogar Interpol eingeschaltet. Aber alle Suchaktionen blieben ohne Erfolg.
Zamorra hatte einige Pfunde abgenommen. Er war überzeugt, daß seine Geliebte und Sekretärin Hexen, Dämonen oder anderen Mächten der Finsternis zum Opfer gefallen war. Anders konnte es überhaupt nicht sein.
Zamorra hatte an jenem Abend, bevor Nicole Duval verschwunden war, zweimal nach ihr sehen wollen. Beim ersten Mal, kurz nachdem Nicole den grünen Salon verlassen hatte, hatte sie ihm durch die geschlossene Tür zugerufen, es wäre alles in Ordnung, aber sie sei sehr müde und wolle, nichts als schlafen.
Zamorra war gegangen. Wenige Minuten nach Mitternacht hatte er noch einmal an Nicoles Tür geklopft, aber drinnen nichts gehört. Die Tür war verschlossen gewesen, Zamorra war gegangen.
Später verwünschte er sich dafür, daß er nicht hartnäckiger gewesen war. Im Morgengrauen torkelte Bill Fleming mit einer Riesenbeule am Kopf in Zamorras Schlafzimmer, weckte ihn und erzählte ihm alles.
Zamorra brachte seinen Freund zunächst in die nächste Klinik, denn er hatte eine Gehirnerschütterung erlitten. Dann suchten er und der Butler Raffael die gesamte Umgebung ab. Sie fanden Nicole nicht, anschließend verständigten sie die Polizei.
Zamorra wußte nicht, daß der Hexenzauber der Jadwiga Vaszary Nicole den Weg bis nach Czerkössy in Transsylvanien geebnet hatte. Die Lastwagenfahrer Pierre Janvier und Hector Bruton erinnerten sich nicht mehr an ihre Mitfahrerin, sie wunderten sich später nur, daß sie mit großer Verspätung und aus einer ganz anderen Richtung zu den Markthallen kamen, wo sie prompt einen Anpfiff ihre Chefs kassierten.
Bruton fühlte sich am ganzen Körper wie zerschlagen. Janvier hatte Kopfschmerzen.
Nicole war ohne Schwierigkeiten nach Bukarest geflogen. Eine Frau gab ihr Flugticket, Visum und Paß, als Nicole sie am Schalter der Fluglinie Balkanair scharf ansah und eine Beschwörungsformel murmelte. Diese Frau sah Nicole Duval überhaupt nicht ähnlich, aber für die Hexenkunst war es kein Problem, Bild, Name, Alter und weitere Daten in den Papieren zu ändern und die Abfertigungsbeamten zu verblenden.
Von Bukarest aus war sie mit der Bahn weitergereist, durch die schroffen Karpaten nach Tirgu Mures an der Mieresch in Transsylvanien oder Siebenbürgen. Dort holte ein Mann aus Cerkössy Nicole Duval mit seiner Tatra-Limousine ab. Er brachte sie in das Städtchen nahe den Ostkarpaten, wo der Hexenzirkel sie übernahm.
Nicole Duvals Spur war nicht zu verfolgen, dafür sorgte die Hexenkunst. Denn noch war die Zeit nicht reif, daß Zamorra nach Cerkössy gelockt werden sollte.
Zamorra versuchte alles mögliche, Bill Fleming, der seine Gehirnerschütterung sehr rasch auskuriert hatte, unterstützte ihn dabei. Der Professor setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um Nicole Duval zu finden. Wenn sie nicht mehr lebte, dann wollte er wenigstens ihre Leiche sehen, um sicher zu sein.
Doch Zamorra hatte die zähe Überzeugung, daß Nicole Duval noch nicht im Reich der Toten weilte. Er glaubte, daß irgendeine finstere Macht sich ihrer bemächtigt hatte und zu einem großen Schlag gegen ihn
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