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Der purpurne Planet

Der purpurne Planet

Titel: Der purpurne Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Weit entfernt schlug ein Gong, leise, in regelmäßigen Abständen – angenehm zu empfinden wie alles, was Maß und Regel hat. Die Töne hätten nur so weit weg bleiben müssen, aber sie kamen immer näher, die Schläge wurden lauter, unangenehm laut, sie dröhnten, daß es in den Ohren rauschte. Eine schwere Last legte sich auf die Brust, man müßte sie herunterwälzen, den Gong abstellen, bald, sofort…
    Mit einem tiefen Atemzug erwachte Irina aus der Anabiose. Das Dröhnen der Herzschläge im Kopf schwoll ab, die Last verschwand. Sie kam zu sich, begann ihren Körper zu fühlen, Kopf, Leib, Arme und Beine, sie fühlte Schmerzen hier und da, und sie wußte auch, daß das gut und in Ordnung war. Dann schlug sie die Augen auf.
    Es verwirrte sie, als sie im Deckenspiegel der Anabiosebox eine Frau liegen sah, blaß, mit eingefallenem Gesicht, am Hals die Manschette, aus der die Kabel der Kreislaufmaschine heraustraten. Dann begriff sie, daß sie sich selbst sah, und erinnerte sich, daß sie Irina Heywaldt war, die Ärztin, und daß sie nun etwas Wichtiges tun mußte. Ja richtig, das war’s. Sie hob den linken Arm und schob ihn dem Halse zu. Das war anstrengend und angenehm zugleich. Für einen Augenblick schloß sie die Lider, aber dann besann sie sich: Sie hatte zu arbeiten. Energisch schlug sie die Augen auf, griff an die Halsmanschette und drückte einen kleinen Hebel zur Seite.
    Sie spürte einen brennenden Schmerz am Hals, und nun wußte sie auch, wozu der Hebel diente und was da geschah: die Schließautomatik der Halsmanschette vernähte die Halsvene, durch die während der Erweckung das konservierte Blut eingepumpt worden war. Und plötzlich wußte sie auch, was nun zu geschehen hatte. Sie mußte ihren Körper unter Kontrolle bringen. Was dann zu tun war, beunruhigte sie jetzt nicht, sie fühlte, es würde ihr einfallen, wenn es soweit war. Im Augenblick kam alles darauf an, daß ihr die Glieder gehorchten.
    Sie bewegte Hände und Füße und kontrollierte die Bewegungen im Spiegel. Dann versuchte sie, ein Bein anzuziehen – es ging es war sogar leichter als die Bewegung der Hand zum Hals vorhin.
    Sie sah, wie die Halsmanschette sich öffnete und auseinanderfiel. Nun hob sie die Arme, beugte und streckte sie, es tat etwas weh, aber es war nicht schwierig.
    Plötzlich sah sie sich fallen – nein, natürlich fiel sie nicht, der Deckel mit dem Spiegel hob sich nur. Sie richtete sich mühsam auf, ihr Herz klopfte stark. Durst überfiel sie.
    Sie sah sich um. lieben ihrer offenen Anabiosebox stand ein Sprudler mit einem Becher. Sie drückte auf den Knopf des Sprudlers, eine Flüssigkeit füllte zischend den Becher. Gierig griff sie danach, aber der Becher ließ sich nicht heben. Richtig, sie mußte ihn drehen, sie war ja in einem Raumschiff, wo alle Dinge befestigt sind.
    Das Getränk belebte sie augenblicklich. Ein Raumschiff, was denn für ein Raumschiff, wie kam sie hierher – gewiß, es war schon richtig und in Ordnung daß sie hier war, aber wozu? Seit wann? Und wo waren die andern?
    Sie musterte ihre Umgebung, nun aufmerksam und suchend.
    In durchsichtigen Anabioseboxen wie der ihren sah sie die anderen liegen, unmittelbar neben sich, deutlich zu erkennen, einen Mann. Ihren Mann. Uwe, den Kommandanten.
    Und nun, mit einemmal, war ihr alles wieder gegenwärtig.

Prolog unter dem Himmel
    Irina hatte die Stundenposition des Sportballons eingetragen, das Bordbuch in den Geräteschrank gelegt und sich, die Arme auf der Brüstung, in ihre Ecke des Korbes zurückgelehnt. Minuten schon sah sie Uwe an, der ihr gegenübersaß, mit geschlossenen Augen, die Morgensonne im Gesicht. Es sah finster aus, dieses kantige Gesicht mit den beinahe zusammengewachsenen schwarzen Augenbrauen, und sie vergnügte sich an dem Gedanken, daß sie einmal ungeheuren Respekt vor diesem Gesichtsausdruck gehabt hatte, fast ein schlechtes Gewissen, weil sie meinte, darin einen Vorwurf lesen zu müssen – damals, als er der berühmte Patient der unbekannten Ärztin gewesen war, nach seinem Absturz im Kaukasus. Wie lange war das her – zwei Monate? Zwei Jahre?
    Beide Maße stimmten leider: zwei Jahre Kalenderzeit, zwei Monate Zeit in diesen Jahren, die sie gemeinsam hatten. Ja, und daran zu denken war schon kein Vergnügen mehr.
    Trotzdem – war dieser Finsterling nicht beinahe rührend komisch in dieser Umgebung, im Korb eines Ballons unter dem blauen Himmel, über den Wiesen und Wäldern und Seen Mecklenburgs? Sie wußte, daß seine

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