012 - Der Silbermann
hasse.«
»Sei doch nicht auf einmal so zickig!« sagte Arno Beymer ärgerlich. »Okay, okay, ich mach das Tau fest, damit deine geplagte Seele wieder Ruhe findet.« Er stand auf. Breitschultrig und muskulös war er. Kein Gramm Fett war an seinen Rippen. Darauf achtete er. Er gefiel sich unheimlich gut, konnte lange vor dem Spiegel stehen und sich betrachten. Er genoß es, schön zu sein.
Nachdem er die Zigarette im Aschenbecher ausgedrückt hatte, wies er grinsend auf Annette. »Lauf inzwischen nicht weg, hörst du?« Dann ging er. Die Badehose, die er trug, hätte in einen Briefumschlag gepaßt. Er stieg die Stufen des Niederganges hinauf, erreichte das Deck, badete im Licht des Mondes und dehnte seine Glieder, während der Wind sein Haar zerzauste.
Weiber, dachte er spöttisch. Die kriegen’s schon mit der Angst zu tun, wenn unter ihrem Bett mal ein Floh hustet.
Wo war das lose Tau, dieser verdammte Störenfried? Mit nackten Füßen tappte Arno Beymer über das Deck.
Plötzlich war ihm, als hätte sich zwischen den Aufbauten jemand bewegt. Eine gedrungene Gestalt?
Unwillig zog Beymer die Brauen zusammen. Annette hatte ihn schon angesteckt. Er sah bereits Gespenster. Na schön, dies hier war die Höllenbucht. Na und? Die Leute behaupteten, man würde sein Leben aufs Spiel setzen, wenn man sich hierher wagte. Arno Beymer wollte ihnen allen das Gegenteil beweisen. Er wollte beweisen, daß es gänzlich ungefährlich war, sich hier aufzuhalten.
Hölle. Dazu hatte er keine Beziehung.
Hölle. Das war etwas Irreales für ihn.
Hölle. Des Teufels Zuhause.
Er zweifelte daran, ob es das überhaupt gab. Die Menschen sind diesbezüglich im Erfinden sehr phantasievoll. Die Hölle soll abschrecken, und das tut sie in den meisten Fällen auch. Die meisten Menschen haben Angst davor, nach ihrem Tod in der Hölle zu landen, deshalb bemühen sie sich, ein gottgefälliges Leben zu führen.
Ein Leben voller Regeln. Arno Beymer fand das lächerlich.
Menschen sollten in dieser Höllenbucht schon verschwunden sein. Nicht zwei, drei oder sechs. Nein, gleich Dutzende.
Daß ich nicht lache, dachte Beymer.
Er war sicher, daß er nicht verschwinden würde? Wohin denn?
In die Hölle? Ja, von den Verschwundenen behauptete man, sie wären in die Hölle geholt worden. Von wem, das wußte niemand.
Leere Boote habe man hier schon oft geborgen. Ohne die Spur einer Besatzung.
Arno Beymer grinste. »Noch ein Bermudadreieck«, murmelte er belustigt. Amüsiert kam er auf den Gedanken, Annette ein kleines unheimliches Schauspiel zu bieten. Er zog die Luft röchelnd ein und knurrte wie eine Raubkatze. »Mein Gott, Annette!« rief er. »Du hast recht! Wir hätten der Höllenbucht lieber fernbleiben sollen… Es wimmelt hier nur so von … von … Es sind wahre Scheußlichkeiten! Sie haben uns eingekreist. Wir sind verloren!«
Damit hätte Arno Beymer lieber nicht spaßen sollen, aber ihm war ja nichts heilig.
Sie waren wirklich verloren, doch das ahnte Beymer in diesem Moment noch nicht. Er stampfte übermütig über das Deck, verursachte die verrücktesten Geräusche, um Annette Mann zu ängstigen und berichtete nach unten, welchen Horror er »sah«.
Und dann sah er wirklich etwas.
Es verschlug ihm den Atem. Sein Grinsen fror ein. Der Übermut zerbröckelte. Seine Augen weiteten sich erstaunt. Es befand sich tatsächlich jemand an Bord der Black Dragon. Ein gedrungenes Wesen.
Ein Zwerg?
Nein, ein Zwerg war es nicht. Beymer strengte seine Augen an.
Er stellte fest, daß es sich um ein Tier handelte. Um einen Pavian.
Silbergraue Mähne. Stählerne Muskeln unter dem Fell. Böse starrende Augen. Eine vorspringende Schnauze. Das Maul geöffnet.
Arno Beymer sah lange, dolchartige Zähne. Reißer, mit denen das unheimliche Tier jeden Menschen zerfleischen konnte…
***
Obwohl Magos Erscheinen bereits einige Tage zurücklag, saß uns der Schock noch tief in den Gliedern. Der Schwarzmagier war hinter Oda, der weißen Hexe, hergewesen. Wir hatten uns ihm entgegengeworfen. Es war ihm dennoch gelungen, Oda und Roxane, die Hexe aus dem Jenseits, auf den Scheiterhaufen zu bringen, aber wir konnten verhindern, daß die beiden verbrannten. Während dieses erbitterten Kampfes auf Leben und Tod verlor Mr. Silver seine übernatürlichen Fähigkeiten. Er konnte von Glück sagen, daß er überhaupt noch am Leben war. Nun war der Ex-Dämon so verletzbar wie ich und jeder andere Mensch. Die außergewöhnlichen Kräfte standen ihm nicht mehr zur
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