013 - Draculas Liebesbiss
die Totenhalle schallen.
Wie in Trance bewegte er sich auf
den äußersten der vier Säge zu, bückte sich und hob mit beiden Händen langsam
den nur lose aufgelegten Deckel an. Dumpf schlug der Sargdeckel zu Boden. Wie
von einer Tarantel gestochen, sprang Callaghan in die Höhe.
Der Sarg war leer!
●
Das leise Lachen hinter ihm ließ
das Blut in Callaghans Adern gefrieren. Wie unter einem Zwang drehte er sich
um.
Charlene stand vor ihm – ihr
bleiches Gesicht leuchtete im Dunkel wie eine angestrahlte Fläche. Die langen
Vampirzähne ragten über die Lippen der Schönen.
»Komm«, wisperte Charlene mit
verführerischer, leiser, schwacher Stimme. »Komm her zu mir …! Laß dich küssen
… von mir … komm …!« Verlockend und erotisierend waren diese Worte.
Sie näherte sich ihm. Die
schlanken, schmalen Hände streckten sich nach ihm aus.
Callaghan riß sich zusammen. Er
durfte dem Zwang nicht nachgeben, der seinen Willen zu untergraben versuchte.
Mit gellendem Aufschrei stürzte
er sich auf den Vampir. Seine Hände stießen Charlene vor die Brust, daß die
hübsche Brünette wie von einer Titanenfaust getroffen zurücktaumelte und über
ihren eigenen Sarg stürzte.
Callaghan sah sich in der
Finsternis um. Seine Augen, an die Dunkelheit gewöhnt, suchten nach einem
Gegenstand, der als Waffe zu benutzen war.
Er mußte sich zur Wehr setzen, er
rechnete damit, daß auch die anderen aus ihren Särgen kommen würden, um ihm das
Leben schwerzumachen.
Schweiß perlte auf seiner Stirn.
Wenn er noch mal mit heiler Haut davonkam, dann konnte er unmöglich über diese
Sache schreiben …
Niemand würde ihm glauben! Es war
zu phantastisch, zu ungeheuerlich. Spezialisten mußten sich dieser Sache
annehmen, wenn sie durchgestanden war.
Er wollte davonkommen und nicht
auch ein Sklave Draculas, ein Vampir, werden.
Mit aller Kraft griff er nach
einem der armdicken, hölzernen Kerzenständer, die sich nach unten hin
verjüngten. Callaghan wurde fast von seiner eigenen Wucht herumgerissen. Der
Kerzenständer saß nicht – wie vermutet – fest im Sockel. Er war nur
hineingesteckt und spitz wie ein Pfahl.
Callaghans Mundwinkel verzogen
sich. Was für eine Waffe! Ein Pfahl, der zum tödlichen Instrument gegen die
Vampire wurde.
Der Journalist wußte, daß er nur
dann eine Chance hatte, wenn er schnell und ohne zu zögern die Dinge zu Ende
brachte.
Ohne sich zu besinnen, wandte er
sich blitzschnell der zu Boden Gestürzten zu.
Charlene war benommen. Sie
versuchte sich zu erheben, als sie die tödliche Gefahr erkannte.
Wie einen Speer rammte Callaghan
das zugespitzte Ende des Kerzenständers in die Brust des Vampirs.
Der Oberkörper Charlenes bäumte
sich auf, als der Pfahl ihr Herz durchstieß. Callaghan warf sich mit seiner
ganzen Kraft dagegen.
Die Hände Charlenes griffen ins
Leere. Ihre Augen weiteten sich, dunkles Blut quoll über ihre Lippen.
Callaghans Körper durchlief ein
Schauer. Er hatte das Gefühl, ein Mörder zu sein. Vernunft und Verwirrung
bildeten ein eigenwilliges Gemisch in seinem Innern. Er befand sich in einer
Zwangslage. Er wollte helfen und verhindern, daß dem unheimlichen Dracula
weitere Helfershelfer zur Seite standen, daß der Kreis der Verdammten, der
Versklavten immer größer wurde. Callaghan wußte, daß das Gesetz der Vampire
nichts gemein hatte mit dem der Lebenden.
Die hier, die nachts umgingen,
spukten und lebten nicht mehr. Ihr unruhiges Herz mußte erlöst werden.
Mit diesem Gedanken trat er den
Deckel des zweiten Sarges auf die Seite. Candis lag darin. Große, erstaunte
Augen blickten ihn an.
Ein Mädchen, dessen Tod gestern
abend eindeutig festgestellt worden war.
Jetzt, zur nächtlichen Stunde
aber lebte sie wieder, weil Draculas Liebesbiß ihren Körper zu einem
geheimnisvollen Zwang trieb.
Candis kam nicht dazu, dem
tödlichen Stich auszuweichen. Der Pfahl bohrte sich in ihr Herz.
Ein Gurgeln kam aus ihrer Kehle,
dunkles, frisches Blut lief aus den Mundwinkeln. Der schlaffe Vampirkörper, in
dem kein Herz mehr schlug, sackte zurück.
Zum dritten Sarg! In Callaghans
Ohren rauschte es. Die Wände um ihn herum schienen in der Dunkelheit auf ihn
zuzukommen. Er hörte ein donnerndes Knattern, als würde die Luft um ihn mit
riesigen Windmühlenflügeln geschlagen. Das Innere der Gruft war erfüllt von
ohrenbetäubendem Motorengeräusch.
Callaghan wurde sich nicht
bewußt, ob diese Geräusche wirklich vorhanden waren oder ob sie nur in seinem
aufgepeitschten
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