015 - Die Augen des Dr. Schock
Mordszenen umgaben sie. Sie war umringt von Mördern und Opfern. Sally wußte, wo sie war: In Martin Brocks Wachsfigurenkabinett! Sie war noch nie hier drinnen gewesen. Es genügte ihr, zu wissen, was für grauenhafte Darstellungen hier geboten wurden. Sie mußte das nicht auch noch sehen.
Und nun stand sie auf einmal mitten in diesem Etablissement.
Sie konnte sich nicht erklären, wie sie hierherkam.
Verwirrt versuchte sie sich zu entsinnen, was geschehen war.
Sig war mit ihr nach Hause gegangen. Während sie duschte, wartete er im Schlafzimmer auf sie. Aber was weiter? Sie konnte sich nicht erinnern. Sie hatte keine Ahnung, daß ihr die Augen des Dr. Schock erschienen waren. Eine Lücke klaffte in ihrer Erinnerung. Sie blickte an sich hinunter. Wann hatte sie das angezogen, was sie jetzt trug? Wo war Sig Dobie? Wieso hatte er sie fortgehen lassen?
Sally Bingo stand vor einem schrecklichen Rätsel.
Sie wollte hastig kehrtmachen und aus dem furchtbaren Horrorkabinett fliehen, doch da vernahm sie eine leise Stimme, die sie bannte.
»Sally«, flüsterte die Geisterstimme, daß es dem Mädchen eiskalt über den Rücken rieselte. »Sally Bingo…«
Die Stimme lockte sie. Sally war gezwungen, darauf zuzugehen. Obwohl eine schreckliche Angst ihr Herz einschnürte, näherte sie sich der unheimlichen Stimme.
»Komm her, Sally Bingo. Komm zu mir…«
Und Sally kam.
Sie begab sich zu Melvin McGuane, trat vor ihn, und als sie seine furchterregenden Augen sah, wußte sie, daß sie diese nicht zum erstenmal erblickte. Aber wo, wo hatte sie diese furchtbaren Augen schon mal gesehen?
***
Wir hatten jeder unser Scherflein beigetragen. Jetzt war wieder ich an der Reihe. Das Geduldspiel würde sich lohnen, soviel stand bereits fest. Wenn uns Esram Bannon nicht vorzeitig einen Strich durch die Rechnung machte, würden wir es schaffen, freizukommen. Eine Türangel wackelte bereits, und ich war soeben dabei, dies auch bei der zweiten Vorrichtung zu erreichen. Millimeter um Millimeter kratzte ich mich tiefer. Eine mühevolle Arbeit.
Zwischendurch wuchtete sich Mr. Silver immer wieder gegen die Tür. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir aus unserem Kerker rauskamen.
Gleich danach wollten wir uns Dr. Schock kaufen.
Mr. Silver brannte darauf, mit Esram Bannon abzurechnen.
Wir hofften beide, daß uns Harry Dean nicht noch einmal abhanden kam. Es wäre schade gewesen um diesen sympathischen Privatdetektiv.
»Nun lerne ich mal eure Arbeit kennen«, sagte er hinter mir. »Ich muß gestehen, ich möchte niemals mit euch tauschen. Der Kampf gegen Geister und Dämonen ist nichts für mich, das habe ich längst begriffen. Ich glaube, die schwarze Macht hätte mich innerhalb ganz kurzer Zeit erledigt.«
»Ja in diesen Job muß man ganz langsam hineinwachsen«, sagte ich. »Und man braucht immer ein gewisses Quentchen Glück, sonst ist’s vorbei… Silver.«
»Ja, Tony?«
»Versuch’s noch mal«, verlangte ich von dem Hünen.
»Aber jetzt mit Volldampf, wenn ich bitten darf.«
Wir machten dem Ex-Dämon Platz. Er trat drei Schritte zurück und katapultierte sich dann mit ungeheurer Wucht gegen die Tür. Ich wußte sofort, daß es reichen würde, und es reichte wirklich. Die gelockerten Türangeln brachen aus dem Mauerwerk, Licht fiel in unsere gespannten Gesichter, und wir waren nicht mehr länger eingesperrt.
Es war ein Fehler von Esram Bannon gewesen, zu denken, er hätte uns sicher. Diesen Fehler wollten wir uns jetzt zunutze machen.
***
Die Augen des Dr. Schock starrten ihr bis in die Seele.
Sally Bingo wich erschrocken zurück. Sie faßte sich ans Herz, das aufgeregt gegen die Rippen klopfte.
Da sagte plötzlich jemand hinter ihr: »Nächtlicher Besuch in meinem Etablissement. Was für eine erfreuliche Überraschung.«
Sie fuhr herum und sah Martin Brock. Sein Lächeln war verschlagen. Im Gegensatz zu Sally stand er immer noch unter dem Einfluß des Bösen.
»Sie… Sie sind der Besitzer dieses Wachsfigurenkabinetts?« preßte Sally heiser hervor.
»Der bin ich«, antwortete Brock.
»Sie müssen entschuldigen…«
»Was?« fragte er grinsend. »Was soll ich entschuldigen?«
»Daß ich hier so einfach… Mitten in der Nacht…«
»Oh, das ist vollkommen in Ordnung.«
Sally schüttelte heftig den Kopf. »Ist es nicht, Mr. Brock. Ich… ich habe keine Ahnung, wie ich hierher komme. Mich muß mein Verstand im Stich gelassen haben. Ich war zu Hause. Das ist das letzte, woran ich mich erinnern kann. Und jetzt bin
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