017 - Das Fest auf dem Teufelshügel
blickte aus dem Fenster. Das Rattern der Räder schläferte sie ein. Je weiter sie nach Norden kam, um so düsterer wurde der Himmel; nach Manchester fing es leicht zu regnen an.
In Blackburn verließ sie den Zug. Im Bahnhofsrestaurant aß sie eine Kleinigkeit und trank ein Glas Bier. Sie ignorierte die plumpen Annäherungsversuche zweier junger Männer, die sich schließlich resigniert zurückzogen.
Ihr Ziel war Devils Hill. Der Ort lag an einer wenig befahrenen Nebenlinie. Der Zug, der sie hinbringen sollte, bestand aus einer alten Dampflokomotive und zwei schäbigen Wagen. Sie stieg in den ersten, legte die zwei Koffer in das Gepäcknetz und setzte sich. Ein halbes Dutzend Landarbeiter waren bei ihrem Eintritt verstummt. Sie starrten sie neugierig an, doch Coco achtete nicht auf ihre Blicke. Der Regen war stärker geworden. Das Wasser floß an den Scheiben runter. Endlich fuhr der Zug an. Die Arbeiter unterhielten sich lautstark und ließen eine Ginflasche kreisen. Die Landschaft war eintönig; flach wie ein Pfannkuchen; nur gelegentlich waren ein einsames Haus oder Baumgruppen zu sehen. Alles wirkte trostlos. Der heftige Regen verstärkte noch den düsteren Eindruck.
An der ersten Station stiegen die Arbeiter aus. Eine uralte Frau stieg zu. Sie war schwarz gekleidet und trug ein Kopftuch. Langsam ging sie den Mittelgang entlang, ihre Bewegungen geschickt dem Geschaukel des Zuges anpassend. Sie setzte sich Coco gegenüber und stellte ihren Korb auf den Boden.
Coco sah die Alte fasziniert an. Ihr Gesicht war mit unzähligen Falten und Runzeln übersät. Die hellen Augen lagen tief in den Höhlen und waren verschleiert.
»Wohin fahren Sie, mein Kind?«
»Nach Devils Hill.«
Die Alte nickte. »Das dachte ich mir.«
»Wieso?«
Die Frau lächelte. In ihrer Jugend mußte sie eine Schönheit gewesen sein. »Das ist nicht schwer zu erraten. Diese Gegend ist völlig uninteressant. Sie sind eine Fremde. Sie wollen sicherlich zum Schloß. Da wollen sie alle hin. Aber manche kommen nie zurück.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich wohne seit meiner Kindheit in dieser Gegend. Ich habe viele Fremde getroffen, die zum Schloß fuhren, aber danach hat man sie nie mehr gesehen.«
Coco schwieg und zündete sich eine Zigarette an.
»Fahren Sie nicht nach Devils Hill! Dort geht es nicht mit rechten Dingen zu. Kehren Sie lieber um!«
Coco schüttelte entschieden den Kopf.
»Das Schloß ist verflucht«, sprach die Alte weiter. »Glauben Sie mir, es ist besser für Sie, wenn Sie auf meinen Ratschlag hören.«
Coco lachte. »Ich bin nicht ängstlich.«
»So sehen Sie auch nicht aus«, meinte die Alte und senkte die Stimme. »Aber Ihre Furchtlosigkeit wird Ihnen dort nicht helfen. Man sagt, daß dort der Teufel haust.«
»Aber das ist doch Unsinn!«
»Sie halten mich sicherlich für ein verschrobenes Mütterchen, das nicht mehr ganz richtig im Kopf ist, aber das stimmt nicht. Ich weiß, worüber ich spreche. Alle Einheimischen meiden die Umgebung des Schlosses. In den Vollmondnächten verläßt niemand sein Haus. Unheimliche Geschöpfe streichen da durch die Nacht. Schreie sind zu hören, und das Klagen der Verfluchten hallt schaurig über das Moor.«
Coco drückte lächelnd ihre Zigarette aus und lehnte sich bequem zurück. »Sie machen mich neugierig. Ich wollte schon immer ein verfluchtes Schloß sehen.«
»Sie machen sich über mich lustig«, brummte die Alte. »Dabei meine ich es nur gut mit Ihnen.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Warnung, aber ich muß unbedingt ins Schloß. Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen.«
Die Alte seufzte. »Es ist also zwecklos. Noch nie hat jemand auf meine Warnungen gehört. Hoffentlich wird es Ihnen nicht noch leidtun.«
Es hatte zu regnen aufgehört, der Himmel war aber noch immer mit dunklen Wolken verhangen. Rechts und links von den Gleisen erkannte sie jetzt Buchen. Die alte Frau hatte die Augen geschlossen und die Hände gefaltet. Ihre Lippen bewegten sich leicht.
Coco blickte auf ihre Uhr. In fünf Minuten mußte der Zug Devils Hill erreichen. Sie stand auf, holte ihre Koffer aus dem Netz und stellte sich neben die Tür.
»Ich werde für Sie beten, mein Kind«, sagte die Alte, als der Zug hielt.
»Danke.« Coco öffnete die Wagentür. »Auf Wiedersehen.«
Die Alte bekreuzigte sich, und Coco stieg das Trittbrett hinunter und stellte ihre Koffer ab. Der Zug fuhr an, und sekundenlang sah sie noch das runzlige Gesicht der Frau hinter der Scheibe.
Coco blickte sich um.
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