02 - Die Gefangene des Wikingers
sächsischen Küste von England wohlbekannt. Jahrelang hatten die Dänen das Land verwüstet und die gesamte Christenheit hatte gelernt, beim Anblick der flinken Drachenschiffe, dieser Geißel zu Lande und zu Wasser, innezuhalten und zu zittern.
An diesem Tag kamen die Schiffe aus dem Osten, aber kein Mann und keine Frau, die die Flotte der Wikingerschiffe sah, dachten auch nur einen Augenblick über diese Seltsamkeit nach. Sie sahen die unzähligen Wappenschilde, mit denen die Schiffe vom Bug bis zum Heck bedeckt waren, und sie sahen, dass der Wind, und nicht die Ruderer, die Schiffe wie den Zorn Gottes persönlich heranfegte. Rot und weiß hoben sich die Segel der Wikinger vom bleischweren Himmel ab und trotzten dem tobenden Wind.
Rhiannon war in ihrer Kapelle, als der erste Alarm gegeben wurde. Sie betete für die Männer, die in Rochester gegen die Dänen kämpfen sollten. Sie betete für Alfred, ihren Cousin und König, und sie betete für Rowan, den Mann, den sie liebte.
Sie hatte nicht erwartet, dass an ihrer Küste Gefahr drohen könnte. Die meisten ihrer Männer waren mit dem König gegangen, um gegen die im Süden versammelten Dänen zu kämpfen. Sie war praktisch schutzlos.
»Mylady!« Egmund, ihr betagter aber treuester, Krieger, der schon lange im Dienste ihrer Familie stand, fand sie in der Kirche kniend. »Mylady! Drachenschiffe!«
Einen Augenblick lang dachte sie, er hätte den Verstand verloren. »Drachenschiffe?« wiederholte sie.
»Am Horizont. Sie segeln direkt auf uns zu!«
»Aus dem Osten?«
»Ja, aus dem Osten. «
Rhiannon sprang auf, lief durch die Kapelle und dann. die Stufen zu der hölzernen Brüstung hinauf, die das Herrenhaas umgab. Sie eilte die Brüstung entlang und starrte auf das Meer hinaus.
Sie kamen. Genauso wie Egmund es gesagt hatte.
Übelkeit stieg in ihr auf. Vor Panik und Todesangst fing sie fast zu weinen an. Ihr ganzes Leben lang hatte sie gekämpft. Die Dänen waren wie ein Schwarm Heuschrecken über England hergefallen und hatten Blutvergießen und Terror mit sich gebracht. Sie hatten ihren Vater getötet. Nie würde sie vergessen, wie sie ihn gehalten und versucht hatte, ihn wieder zum Atmen zu bringen.
Jetzt fielen sie sogar über ihr Zuhause her, und sie hatte niemand, um es zu verteidigen, weil ihre Männer mit Alfred gegangen waren. »Mein Gott!« stieß sie hervor.
»Lauft, Mylady!« beschwor Egmund sie. »Nehmt ein Pferd und reitet wie der Wind zum König. Wenn Ihr wie der Teufel reitet könnt Ihr ihn morgen erreichen. Nehmt Euren Bogen und eine Eskorte mit, ich werde diese Festung ausliefern.«
Sie starrte ihn an und lächelte dann langsam. »Egmund, ich kann nicht weglaufen. Du weißt das. «
»Ihr könnt nicht bleiben!«
»Wir werden nicht kapitulieren. Kapitulieren bedeutet ihnen nichts - ganz egal, ob man kämpft oder nicht sie verüben die gleichen Greueltaten. Ich werde bleiben und kämpfen.«
»Mylady … «~
»Ich kann vielleicht viele von ihnen töten oder verwunden, Egmund. Du weißt das.«
Das wusste er tatsächlich; sie konnte es in seinen Augen lesen. Sie war eine bemerkenswerte Bogenschützin. Aber als er sie ansah, wusste sie auch, dass er immer noch das kleine Mädchen sah, das er jahrelang beschützt hatte.
Doch der alte Egmund sah sie keineswegs als Kind, sondern als Frau, und er hatte Angst um sie. Rhiannon war atemberaubend schön mit ihren betörenden silberblauen Augen und ihrem Haar in der Farbe eines goldenen Sonnenuntergangs. Sie war sowohl Alfreds Cousine als auch sein Patenkind. Auf seine Veranlassung hin hatte sie eine hervorragende Ausbildung genossen. Sie konnte sanft und zärtlich wie ein Kätzchen sein, aber sie konnte auch saftig auf die losen Reden der Männer herausgeben und mit ihnen lachen und war fähig, ohne große Mühen die riesigen Ländereien zu verwalten, die sie geerbt hatte. Sie wäre für jeden Wikinger eine lohnenswerte Beute, und Egmund konnte den Gedanken daran nicht ertragen.
»Rhiannon! Ich flehe Euch an! Ich habe Eurem Vater gedient … «
Mit zwei Schritten stand sie neben ihm, schenkte ihm ein warmes, herzliches Lächeln und nahm seine beiden knorrigen Hände in die ihren. »Liebster Egmund! Um der Liebe Gottes willen, ich kann mir diesen Angriff aus dem Osten zwar nicht erklären, aber ich werde nicht kapitulieren. Und ich werde nicht zulassen, dass du hier für mich stirbst! Ich werde fliehen, wenn ich nichts mehr ausrichten kann. Du weißt genau, dass ich ab Tochter meines Vaters jetzt
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