02 - Schatten-Götter
Körper. Nichts gehört mir allein. Bin ich nur eine hohle Form, die für die Zwecke eines anderen gegossen wurde?
Durch die Lücken in den zerbrochenen Planken konnte sie die verfallenen Schuppen und die überwucherten Wege einer kleinen Werft sehen, die von einer weißen Schneeschicht bedeckt waren.
Rasche Schritte näherten sich. Sie nahm das Messer in die Hand, die im Brunn-Quell-Feuer loderte, während sie sich abwendete, um den Schein zu verbergen. Im gleichen Moment tauchte einer ihrer Verfolger auf. Er kam rutschend zum Stehen, als er Nereks ansichtig wurde. Sein Gesicht war eine verzerrte Maske der Boshaftigkeit, und er richtete die Spitze seines Breitschwertes auf sie.
»Du kommst nicht nah genug an mich ran, um diesen Zahnstocher zu benutzen, Hexe. Gib ihn her, sonst…« »Mit Vergnügen.« Sie riss den versteckten Arm hinter ihrem Rücken hervor und schleuderte das in Feuer getauchte Messer auf den Mann. Glühende grüne Flammen flackerten über seine Klinge, als die Waffe an der trägen Parade des Mannes vorbeiflog und mit einem dumpfen Geräusch seine Brust traf. Er schrie auf und stolperte einen Schritt zurück. Dann taumelte er, seine Augen verdrehten sich, bis nur noch das Weiße zu sehen war, und er stürzte tot zu Boden.
Nerek hatte ihre Kräfte verausgabt und lehnte sich einen Moment zitternd an die Planken des Zaunes. Alles drehte sich vor ihren Augen, und sie hatte den Geschmack von Asche im Mund. Dann stieß sie sich ab, wand dem Toten das Schwert aus der Hand und duckte sich durch eine Lücke in dem hohen Zaun. In der verlassenen Werft würde sie schwerlich Verbündete finden, und zudem war sie alles andere als ein guter Zufluchtsort. Aber mit etwas Glück stieß sie dort vielleicht auf ein intaktes Boot.
Es sah nicht so aus, als würde der Schneefall nachlassen, als Gilly Cordale fröstelnd über die Zinnen der Silbernen Aggor schlenderte, der hohen inneren Befestigungsmauer des Kaiserlichen Palastes. Vor ihm marschierten zwei unglückliche Soldaten. Der eine schwang einen Besen, während der andere Salz auf die Steine streute. Gilly trug keinen Hut und beneidete die beiden um ihre Lederhandschuhe und ihre gewachsten Kapuzen. Gleichzeitig verwünschte er sich, weil er den Rat seines Pagen in den Wind geschlagen und nur hastig ein pelzgesäumtes Wams übergeworfen hatte.
Warum hat Atroc wohl auf dieses Treffen außerhalb des Palastes bestanden? Er blies seinen warmen Atem in seine hohlen Hände. Und warum habe ich eingewilligt?
Eine Gestalt verließ den Wachturm in der Nähe des Tagfrieds. Er hielt ein langes Ding in den Händen, das sich plötzlich zu einem großen, kuppelartigen Fächer entfaltete. Auf diese Weise vor dem Schnee geschützt, ging Atroc auf Gilly zu.
»Ihr Südmänner seid wie Kinder«, meinte der Seher, während er näher kam. »Beim ersten Zeichen von Schnee vergrabt ihr euch unter Pelzen.«
»Das liegt daran, dass durch unsere Adern Blut fließt«, konterte Gilly lächelnd. »Und nicht diese fermentierte Hundemilch, die Euer Volk Tag und Nacht in sich hineingießt.«
Der alte Mogaun bleckte sein lückenhaftes Gebiss, während er eine ovale Lederflasche aus seinem schäbigen Mantel zog. »Es ist Stutenmilch, Ihr unwissender Spötter. Ein Schlückchen gefällig?«
»Das gebietet wenn schon nicht die Pflicht, dann doch die Höflichkeit!«, erwiderte Gilly und genehmigte sich einen großzügigen Schluck.
Der Schnaps brannte in seiner Kehle und wärmte seinen Magen. Gilly sah den alten Seher an. »Also, wie kann ein Lakai der Krone dem Häuptling des Feuerspeerclans zu Diensten sein?« »Nicht alles, was ich tue, geschieht auf ausdrücklichen Befehl von Prinz Yasgur, aber ich habe immer seine Interessen im Blick.«
Gilly strich sich über den Bart. »Habt Ihr das Gefühl, dass seine Interessen irgendwie durchkreuzt werden? Weil Ihr lieber hier draußen darüber reden wolltet.«
Atroc verzog das Gesicht. »In diesem großen Steinhaufen huschen mir zu viele Mäuschen herum. Mäuschen, die ihrerseits wiederum mit Ratten reden.« Er warf einen kurzen Blick auf die beiden mit Besen und Salz bewaffneten Soldaten, zuckte mit den Schultern und sprach weiter. »Hier ist der Knoten, der sich immer fester zieht. Die Stadtregimenter, die mein Prinz befehligt, sind bedenklich unterbesetzt, während sich die Reihen der Ritter des Vater-Baumes und der übrigen neuen Orden vor frischen Rekruten kaum retten können.« Der alte Seher hob seine verwelkte Hand und deutete auf Gilly.
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