Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
1. KAPITEL
Umarme die Gefahr …
Donnerstagabend
Am Amazonas
Falls die Frau gerade versuchte, nicht aufzufallen, hatte sie nicht besonders viel Talent dazu. Im düsteren, überfüllten Inneren des O Diablo Dos Àngels , einer klapprigen barra am Straßenrand der geschäftigen Marktstadt Coroza in Brasilien, wurde Michael Quinn schon nach fünf Sekunden auf sie aufmerksam. Er kämpfte sich seit zwei Tagen durch die stickigen, feuchten Tiefen des Regenwaldes am Amazonas, was man seiner abgerissenen Erscheinung auch ansah. Zwei Tage, die sich eher wie Wochen anfühlten, und jede Stunde zerrte an seinen Nerven, bis er in einer ganz uncharakteristisch miesen Stimmung war, komplett jenseits der Richterskala.
Nicht dass er sonst besonders gut aufgelegt gewesen wäre. Normalerweise … existierte Quinn bloß. Es war Jahre her, seit irgendwer oder irgendwas es geschafft hatte, seine Seele zu berühren oder ihn gar aus seiner geraden, festen Bahn zu werfen – und nun das. Er konnte es selbst nicht erklären, aber seit dem Augenblick, als man ihm ein Foto von Saige Buchanan gegeben hatte, war die kühle Ruhe von ihm abgeglitten wie Wasser, das in einen Abfluss rann. Und an ihre Stelle war eine nervenzerreißende Anspannung getreten.
Die Tatsache, dass Quinn diesen Auftrag gar nicht wollte, ja sogar unerbittlich in seiner Ablehnung gewesen war, machte die ganze Sache noch schlimmer. Und doch war er hier, das durchweichte Hemd klebte ihm an der Haut, der schwere Gestank nach Tabak und Schweiß verursachte Kopfschmerzen, während beim Anblick seiner Beute irgendetwas ungemütlich Scharfes und Durchdringendes durch seinen Körper fuhr.
Soso. Das ist also die kleine Saige . Er ging eng an der Wand entlang und achtete sorgfältig darauf, außerhalb ihres Blickfelds zu bleiben. Sie saß an einem kleinen Tisch am anderen Ende des Raums und hielt eine Wasserflasche in ihrer entzückenden Hand. Neben ihr saß ein junger Mann, der höchstens neunzehn sein konnte und sicher Brasilianer war, das verrieten die dunkle Haut, die dunklen Augen und Haare. Der Junge bewegte die Lippen, doch obwohl Quinns Gehör wesentlich schärfer war als das eines Menschen, konnte er in dem Krach der Menge nichts verstehen.
Eigentlich war diese Bar ein ungewöhnlicher Aufenthaltsort für eine Amerikanerin und ihren jugendlichen Begleiter, aber niemand schien sie zu belästigen. Nicht einmal die Betrunkenen. War sie hier etwa Stammgast? Stand sie unter dem Schutz des Besitzers? Oder gab es einen anderen Grund dafür, dass die Einheimischen auf Abstand blieben?
Woran auch immer es liegen mochte, ihre Unauffälligkeit konnte nicht der Grund sein. Saige Buchanan stach aus der Menge der wettergegerbten Gäste heraus wie ein Neonlicht in mitternächtlicher Finsternis – glitzernd und leuchtend.
Quinn rieb sich mit der Hand über die kratzigen Bartstoppeln. Er hatte sich seit Tagen nicht rasieren können. Dann schüttelte er langsam den Kopf; der Vergleich passte nicht. Nein, die ihrem Ruf nach brillante Anthropologin war nicht aufdringlich oder dreist wie Neonreklame. So hell sie auch strahlte, war sie doch von einer sanften, beinahe zarten Aura umgeben, die sie sogar noch mehr auffallen ließ, als es ihr engelsgleiches Gesicht, ihre üppige Figur oder der ungewöhnliche Ton ihres Haars erwarten ließen. Es war weder rot noch braun, sondern changierte irgendwo dazwischen, glänzte im diffusen Licht.
Hinter der Bar wurde plötzlich eine schwere Holztür zugeschlagen, und Quinn war erstaunt, dass das marode Gebäude nicht zu einem Schutthaufen zusammenfiel. Es gab zwar einige schwere Stützpfeiler,trotzdem war es ein Wunder, dass die schmutzige Decke nicht herunterkam. Der Boden war von Sägespänen bedeckt. Ohne Zweifel, dieser Schuppen gefiel ihm gar nicht. Er mochte es sowieso nicht, in einem Raum eingeschlossen zu sein, er war lieber draußen an der frischen Luft, unter der endlosen Freiheit des Himmels.
Wieso hörst du nicht endlich auf zu meckern und erledigst, wozu du hergekommen bist? Je eher du sie in die Finger kriegst, desto schneller kannst du hier wieder raus.
Weise Worte, aber nun, da er sie gefunden hatte, war sie zu berühren, sie in die Finger zu kriegen, nun wirklich das Letzte, was Quinn wollte. Ganz sicher würde er mit ihr fertigwerden, falls sie sich als schwierig herausstellen sollte. Saige Buchanan mochte mehr zu bieten haben als ein gewöhnliches menschliches weibliches Wesen, aber er war ja auch kein gewöhnlicher Mann. Er
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