02 - Winnetou II
anderer brächte es nicht fertig. Ihm allein traue ich es zu. Aber doppelt bedenklich ist die Sache, da er einen Verwundeten mithat. Zu solchen Beratungen werden gewöhnlich die erfahrensten Leute gesandt. Darum kalkuliere ich, daß der Mann alt ist. Rechnen wir das Wundfieber dazu, welches er, besonders bei so einem Parforceritt, bekommen muß, so ist es mir um ihn und Winnetou himmelangst. Na, nun wollen wir schlafen. Gute Nacht!“
Er wünschte gute Nacht! Ich fand sie aber nicht, denn von Schlaf war bei mir keine Rede, die Sorge um Winnetou ließ mich keine Ruhe finden. Infolgedessen war ich schon munter, oder vielmehr noch immer munter, als sich der Osten zu lichten begann. Ich weckte die Gefährten. Sie erhoben sich völlig geräuschlos, aber sofort standen auch sämtliche Indianer um uns. Jetzt am Tage waren die Rothäute besser zu betrachten als am Abend beim Scheine des spärlichen Feuers. Es überkam mich eine Art von Gruseln, als ich die abscheulich bemalten Gesichter und die abenteuerlich gekleideten Gestalten erblickte. Nur wenige von ihnen hatten ihre Blöße vollständig bedeckt. Viele von ihnen waren mit armseligen Lumpen behangen, welche von Ungeziefer zu strotzen schienen, aber alle waren starke, kräftige Gestalten, wie ja grad der Stamm der Comanchen als derjenige bekannt ist, welcher die schönsten Männer hat. Von den Frauen darf man in dieser Beziehung freilich nicht reden. Die Squaw ist die verachtete Sklavin des Roten.
Der Häuptling fragte uns, ob wir ‚speisen‘ wollten, und brachte uns wirklich einige Stücke sehniges Fleisch, welches vom Pferde stammte und ‚zugeritten‘ war. Wir dankten unter dem Vorgeben, daß wir noch mit Vorrat versehen seien, obgleich derselbe nur noch aus einem ziemlich kleinen Stücke Schinken bestand. Auch den Mann, welcher uns begleiten sollte, stellte er uns vor, und es bedurfte keiner geringen diplomatischen Kunst des Scout, ihn davon abzubringen. Er verzichtete endlich darauf, als der Alte ihm erklärte, daß es eine Beleidigung für solche weiße Krieger sei, ihnen einen Führer mitzugeben. Das tue man Knaben oder unerfahrenen und ungeschickten Männern an. Wir würden die Schar des ‚Weißen Bibers‘ schon zu finden wissen. Nachdem wir noch unsere Ziegenschläuche mit Wasser gefüllt und einige Bündel Gras für unsere Pferde aufgeschnallt hatten, brachen wir nach einigen kurzen Abschiedsworten auf. Auf meiner Uhr war es vier.
Erst ritten wir langsam, um die Pferde in den Gang kommen zu lassen. Wir hatten noch grasigen Boden, doch wurde der Rasen immer dünner und unansehnlicher, hörte endlich ganz auf, und Sand trat an seine Stelle. Als wir die Bäume des Flußufers hinter uns nicht mehr sehen konnten, war es, als ob wir uns in der Sahara befänden: eine weite Ebene ohne die geringste Bodenerhebung, Sand, nichts als Sand und über uns die Sonne, die trotz der frühen Morgenstunde schon stechend niederschien.
„Nun können wir bald einen schnelleren Trab anschlagen“, meinte Old Death. „Wir müssen uns besonders am Vormittage sputen, weil wir da die Sonne hinter uns haben. Unser Weg geht genau nach Westen. Nachmittags scheint sie uns in das Gesicht; das strengt mehr an.“
„Kann man in dieser eintönigen Ebene, welche gar kein Merkzeichen bietet, nicht die Richtung verlieren?“ fragte ich als angebliches Greenhorn.
Old Death ließ ein mitleidiges Lachen hören und antwortete:
„Das ist schon wieder eine Eurer berühmten Fragen, Sir. Die Sonne ist der sicherste Wegweiser, den es gibt. Unser nächstes Ziel ist der Turkey-Creek, ungefähr sechzehn Meilen von hier. Wenn es Euch recht ist, werden wir ihn in wenig über zwei Stunden erreichen.“
Der Scout ließ sein Pferd erst in Trab und dann in Galopp fallen, und wir taten dasselbe. Von jetzt an wurde nicht gesprochen. Jeder war darauf bedacht, seinem Pferde die Last zu erleichtern und es nicht durch unnötige Bewegungen anzustrengen. Eine Stunde verging, noch eine, während welcher wir die Tiere zuweilen eine Strecke weit Schritt gehen ließen, damit sie verschnaufen konnten. Da deutete Old Death vor sich hin und sagte zu mir:
„Seht nach eurer Uhr, Sir! Zwei Stunden und fünf Minuten sind wir geritten, und da haben wir den Nueces vor uns. Stimmt es?“
Es stimmte allerdings.
„Ja, seht“, fuhr er fort, „das Zifferblatt liegt unsereinem sozusagen in den Gliedern. Ich will Euch sogar in finsterer Nacht sagen, wieviel Uhr es ist, und werde höchstens um einige Minuten fehlen. Das
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