02 Winter am Ende der Welt
mich ab und an mit Anna und Clara getroffen und Jorge hatte seine Studenten und Studentinnen. Und eine davon immer ganz besonders. Eine ganz harmonische Familie.
Es klingelt. Wer kann das sein? Ich kenne hier niemanden. Ich sehe nach draußen, da steht eine Frau mit einem Pudel vor der Tür.
Ich gehe runter und mache die Tür auf. Die Frau hat rote Haare mit einer lila Strähne und ein Piercing in der Lippe. In der Hand eine Leine. An der Leine einen weißen Pudel. Die Frau drückt mir die Leine in die Hand.
„Hier“, sagt sie. „Ich muss in die Stadt. Ich hoffe, Peppermint kann bei Ihnen bleiben.“
Und einen Moment bin ich verwirrt, weil ich denke, was hat diese rothaarige Frau mit meinem Pfefferminz-Shampoo zu tun. Aber dann wird mir klar: sie meint den Pudel.
Peppermint guckt interessiert hoch, als sie ihren Namen hört. Peppermint sieht wie ein ganz liebes Tier aus, aber was soll ich mit einem Pudel? Ich bin froh, dass ich im Moment für niemanden sorgen muss, nach achtundzwanzig Jahren Versorgen von Ehemann und Kindern, Weihnachtsessen mit Großeltern, und Familienurlauben mit Freunden im Ferienhaus von Miguel mit Arroz de Marisco für zehn Personen.
„Tut mir leid“, sage ich. „Ich kenne Sie überhaupt nicht.“
„Klar, tut mir leid“, sagt die Frau. „Ich bin April Green.“
„Jasmin Monteiro“, sage ich, praktisch als Reflex.
„Ich muss zum Arzt in die Stadt“, sagt April. „Ich bin morgen wieder da, spätestens übermorgen. Ist ja nur für eine Nacht. Maximal zwei.“
Und vielleicht, weil ich so gewohnt bin, für alle da zu sein und für alle zu sorgen – ehe ich mich versehe, habe ich Peppermints Leine in der Hand und der Pudel sieht vertrauensvoll zu mir hoch und anscheinend habe ich genickt, denn April Green geht jetzt offensichtlich davon aus, dass der Pudel bei mir in guten Händen ist.
„Danke“, sagt sie. „Das ist wirklich nett.“
Und dann greift sie in ihre Jackentasche und holt eine Schachtel aus ihrer Tasche. Sieht aus wie Tabletten.
„Hier“, sagt April. „Das hätte ich fast vergessen. Geben Sie ihr eine pro Tag, dann ist alles in Ordnung.“
Ich sehe auf die Schachtel, es ist Prozac.
„Sie geben Ihrem Hund Prozac?“, sage ich.
„Oh, das ist in Ordnung“, sagt April. „Es ist spezielles Hunde-Prozac, zum Kauen, mit Rindergeschmack. Tja, ich muss dann.“
Und weg ist sie. Und ich stehe da mit einer Packung Prozac in der Hand und einem Pudel an der Leine. Peppermint guckt vertrauensvoll zu mir hoch.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal auf einem Spaziergang mit einem Pudel auf Prozac vier abgenagte Karibufüße finde. Da sieht man mal, dass das Leben doch immer wieder Überraschungen in der Tasche hat. Vermutlich sind es auch gar keine Karibufüße, weil es hier gar keine Karibus gibt. Es sind wohl eher Rehfüße, aber das macht es nicht wirklich besser.
Ich bin mit Peppermint auf der Straße Richtung Müllkippe unterwegs, denn so richtig viele Wege gibt es hier ja nicht.
Es gibt The Road . Unsere Anbindung an die Außenwelt in Form von 65 Kilometern Schotterstraße, garniert mit vielen Schlaglöchern und mal besser und mal schlechter in Schuss. Und wenn man mit Jeff auf Facebook befreundet ist, bekommt man einen aktuellen Bericht über den Zustand von The Road. Das ist ein guter Grund mit Jeff auf Facebook befreundet zu sein. Der einzige eigentlich, jedenfalls für mich, denn Jeffrey Thompson ist wortkarg und verschlossen. Gerade mal ein gemurmeltes Hallo, wenn man ihn auf der Straße oder im Cookshack trifft.
Aber auf The Road geht man höchstens zu Fuß, wenn man einen Motorschaden oder eine Reifenpanne ohne Ersatzreifen hat (kommt leider oft vor), und auch das nur, bis einen das nächste Auto mitnimmt (kommt glücklicherweise praktisch genauso oft vor). Also läuft man entweder durchs Dorf, oder den West Bay Trail entlang, oder den Leiner River Trail oder die Straße runter zur Müllkippe. Und Peppermint braucht Auslauf, also laufen wir die Straße zur Müllkippe.
April Green ist natürlich nicht nach zwei Nächten wieder gekommen, sie hat bei Kathleen im Cookshack angerufen, weil ich ja kein Telefon habe. Und Kathleen hat es mir ausgerichtet, als ich im Cookshack Kaffee trinken war. Aprils Mutter ist krank und April muss sie pflegen. Und ich soll mir keine Sorgen machen, sie vertraut mir, Peppermint ist bei mir in guten Händen. Peppermint öffnet ihre kleine Pudelschnauze und versucht das Karibubein aufzuheben. Und ich mache mir erst
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