020 - A.S. der Unsichtbare
Die Villa Frescoli war nicht klein, sie glich eher einem Palast. Es war ein großes Gebäude aus weißem Marmor. Die Bezeichnung Villa schien kaum für dieses majestätische, herrliche Haus zu passen, das ursprünglich für einen russischen Großfürsten erbaut worden war.
Mr. Merrivan gewann in Macleods Augen neues Interesse. Er hatte schon gehofft, daß die Nelsons nach dem Abendessen zu einem kurzen Besuch herüberkommen würden. Aber die Umgangsformen waren hier steifer und konventioneller, als er vermutet hatte. Die Nachbarn besuchten einander nicht, in Beverley Green lebte jede Familie für sich.
Mr. Sheppard brach früh auf, und Andy ging mit seinem Gastgeber in dessen Arbeitszimmer, um dort eine Tasse Kaffee zu trinken.
Er war nun in dem Raum, in dem sich gestern Mr. Merrivan und Wilmot unterhalten hatten, als er ihr Gespräch belauschte. Es war ein eigenartiges, langgestrecktes Zimmer, das schmaler erschien, als es in Wirklichkeit war. Es lief von der Vorderfront zur Rückseite des Hauses. Durch zwei große Fenster konnte man vorn auf die Straße und hinten in den Garten sehen. In die Mitte der einen Wand war ein großer, schön verzierter Kamin eingebaut, der besser in ein Schloß gepaßt hätte, denn der Raum erschien dadurch wenig gut proportioniert, vor allem zu niedrig. Die Wände hatten Eichentäfelung.
Andy sah keinen Bücherschrank. Offenbar machte sich Mr. Merrivan wenig aus Literatur und gab sich auch keine Mühe, seine gelegentlichen Besucher über diese Tatsache zu täuschen. Aber kostbare Radierungen schmückten die Wände. Andy bemerkte einige wertvolle Arbeiten von Zorn, und Mr. Merrivan zeigte ihm Handzeichnungen bekannter Künstler.
Mr. Merrivan wußte wohl selbst, daß der Kamin eigentlich nicht hierhergehörte. Er hatte das Stück auf der Auktion im StockleySchloß erworben. Das Wappen der Stockleys war auch oben am Sims angebracht. Die anderen Möbel waren gut und modern. Zwei Ottomanen waren in den Fensternischen untergebracht, und außer dem Schreibtisch, der im vorderen Teil des Zimmers nach der Straße zu stand, waren noch ein großer Tisch und ein schön geschnitztes chinesisches Schränkchen vorhanden. Daneben luden bequeme Armsessel zum Ausruhen ein.
»Ich bin ein einfacher Mann und habe dementsprechend einen einfachen Geschmack«, behauptete Mr. Merrivan. »Mein Neffe sagt immer, daß dieses Zimmer fast wie ein Büro aussehe. Nun, ich habe immer ein sehr bequemes Büro gehabt. Rauchen Sie, Herr Doktor?«
Andy wählte eine Zigarette aus dem Silberkasten, der ihm zugeschoben wurde.
»Finden Sie nicht, daß es hier sehr ruhig ist?«
Andy lächelte. »Ja, es herrscht eine wohltuende Stille hier.«
Mr. Merrivan freute sich über das Lob.
»Ich selbst bin sozusagen der Gründer des Ortes. Ich habe diese Häuser nacheinander gekauft. Einige sind schon sehr alt, obwohl Sie das vielleicht nicht glauben werden. Ich habe Beverley Green eigentlich so angelegt, wie Sie es jetzt sehen. Ich verkaufte ein Haus nach dem anderen und habe dabei nicht einen Schilling verdient.«
Andy war sehr erstaunt.
»Das war aber wenig geschäftstüchtig von Ihnen.«
»An Geschäft habe ich dabei überhaupt nicht gedacht«, erklärte Mr. Merrivan. »Meine Absicht war, die richtigen Leute hierherzubringen. Aber ich fürchte, es ist mir nicht ganz gelungen. Die Menschen sind nicht alle so, wie sie scheinen, auch verschlechtert sich mit der Zeit der Charakter mancher Leute. Aber für Sie in Ihrem rastlos tätigen Leben, lieber Doktor, muß der Aufenthalt in Beverley Green doch eine Erholung sein.«
Das Gespräch wandte sich dann dem Thema Verbrechen und Verbrechen zu. Es war aber weniger eine Unterhaltung als ein Ausforschen von Seiten Mr. Merrivans. Macleod gab längere oder kürzere Antworten, je nach dem Interesse, das er Mr. Merrivans Fragen entgegenbrachte.
»Haben Sie bei Ihren vielen Erkundungen jemals einen gewissen Albert Selim kennengelernt?« Merrivan sprach zögernd.
»Dieselbe Frage hat erst vor kurzem jemand an mich gestellt. Wer war es doch gleich? Auf jeden Fall ist mir Selim noch nicht begegnet. Er soll einen sehr gemeinen Charakter haben.«
»Er ist ein Wucherer, und ich habe allen Grund anzunehmen, daß er auch ein Erpresser ist«, sagte Mr. Merrivan ernst. »Glücklicherweise bin ich niemals in seine Klauen geraten, aber andere Leute - können Sie mir nicht sagen, wer von ihm gesprochen hat? War es nicht Mr. Nelson?«
»Nein, ich glaube, es war Mr. Boyd Salter.«
»Sehen Sie
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