020 - A.S. der Unsichtbare
vergessen konnte. Sie hätte ihm dann zugeredet, den Nachmittag im Atelier zu bleiben, und er hätte ihr geantwortet, daß er am nächsten Morgen ganz früh aufstehen werde, um einen guten Anfang zu machen. Und wenn sie ihn heute gebeten hätte, zu Hause zu arbeiten, hätte sie wahrscheinlich dieselbe Antwort bekommen. Also ließ sie den Dingen ihren Lauf. Ihr krampfhaftes Bemühen, dem Schicksal zu entkommen, war nutzlos - es ließ sich nicht mehr aufhalten.
Stella hatte an diesem Morgen einen Brief von Artur Wilmot vorgefunden und ihn ungelesen zerrissen und in den Papierkorb geworfen. Der Gedanke an ihn bedrückte sie am wenigsten.
Auch in dem Erscheinen des Detektivs lag etwas Schicksalhaftes. Er mußte ja seine Pflicht tun. Sie war auf das Schlimmste vorbereitet. Auch er würde in all das Unglück verkettet sein, das über sie hereinbrechen mußte.
Am Nachmittag bekam sie über eine Stellenvermittlung zwei ungeschulte Dienstboten. Es waren ungeschliffene Landmädchen, die sie anstarrten und lachten, als sie ihnen zeigte, wie sie alles anfassen mußten. Es wäre vergebene Mühe gewesen, sich nach gelernten Leuten umzusehen, denn die hatten alle von Kenneth Nelson und seinen Verrücktheiten gehört.
Stellas kleine, geheimgehaltene Reservesumme, die immer mehr und mehr zusammenschmolz, ermöglichte es ihr, die Löhne der entlassenen Dienstboten zu zahlen.
Sie hatte eben versucht, der neuen Köchin beizubringen, wie man guten Tee aufgießt, als Mr. Merrivan sich dem Hause näherte. Sie hatte ihn schon durch das Fenster gesehen und öffnete selbst die Haustür.
Sein Besuch war ihr unangenehm, obwohl sie ihn ganz gut leiden konnte. Aber auch er gehörte nun einmal zu den Unvermeidlichkeiten des Schicksals, und dieser Gedanke machte sie ruhiger.
»Ich komme in einer sehr heiklen Angelegenheit, Miss Nelson«, begann er und schüttelte den Kopf, als ob er durchaus schon ausdrücken wollte, daß er sich zur Lösung seiner Aufgabe nicht fähig fühle. »Wirklich, eine sehr heikle Angelegenheit. Ich weiß kaum, wie ich anfangen soll «
Sie wartete und fürchtete schon, daß er sie an eine frühere Schuld erinnern würde, die sie ihm aber glücklicherweise hatte zurückzahlen können. Sie atmete erleichtert auf, als sich herausstellte, daß er gekommen war, um das brutale Auftreten seines Neffen zu entschuldigen.
»Ich kann nur vermuten, was er zu Ihnen gesagt hat. Gestatten Sie, daß ich Platz nehme?«
Sie schob ihm einen Sessel hin. Er setzte sich langsam und dankte umständlich.
»Er hat Sie so schwer beleidigt, daß Sie ihm eigentlich nicht verzeihen können«, begann er, aber sie unterbrach ihn sofort.
»Wir wollen nicht mehr darüber sprechen, Mr. Merrivan. Artur ist noch sehr jung und weiß nicht, wie man mit Frauen umgeht.«
»Meinen Sie?« fragte er. »Es tut mir leid, daß ich Ihnen darin widersprechen muß. Er weiß genug über Damen, um seine Pflichten Ihnen gegenüber zu kennen.«
»Hat er Ihnen denn alles erzählt?« Sie war erstaunt, daß Merrivan von dem Vorfall unterrichtet war.
»Ja, er hat es mir gebeichtet, und er bat mich, meinen Einfluß bei Ihnen geltend zu machen.« Er räusperte sich. »Ich habe ihm aber geantwortet«, sagte er dann langsam und nachdrücklich, »daß er sich keine Hoffnungen zu machen brauchte. Ich würde den Heiratsantrag eines ändern nicht unterstützen.«
Es trat eine Pause ein, und sie dachte über seine Worte nach.
»Eines anderen?« wiederholte sie dann. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, ach nein - das können Sie doch nicht meinen «
»Doch, ich meine mich selbst«, entgegnete Mr. Merrivan ruhig.
»Aber der Altersunterschied zwischen uns ist vielleicht ein unüberwindliches Hindernis für unser Glück, Miss Nelson.«
»Nein, Ihr Alter hat damit nichts zu tun, Mr. Merrivan«, erwiderte sie hastig. »Ich werde überhaupt nicht heiraten. Aber das ist doch nicht Ihr Ernst? Sie wollen mich ja gar nicht heiraten.«
»Ich meine es wirklich im Ernst«, erklärte Darius Merrivan feierlich. »Ich habe diesen Schritt lange bedacht, Miss Nelson. Und mit jedem Tag wurde es mir klarer, daß Sie die einzige Frau auf der Welt sind, mit der ich glücklich werden könnte.«
Stella lachte: »Ich hätte es mir nie auch nur im Traum einfallen lassen, daß Sie - es ist mir natürlich eine große Ehre, Mr. Merrivan. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich das zu schätzen weiß - Sie waren immer so gut zu mir.«
Er hob abwehrend die Hand. »Wir wollen nicht davon
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