0266 - Der Grachten-Teufel
Nacken und schaute durch das gläserne Dach zum blauen Himmel mit den hellen Wolkenstreifen und der Sonne, die als goldener Ball am Firmament stand. Die Fahrgäste unterhielten sich in mehreren Sprachen miteinander, dazwischen war das Klicken der Kameras zu hören.
Manchmal schaukelte das Boot, wenn es einen Wellenkamm durchschnitt. Diese Bewegung wurde stets vom Gelächter der Fahrgäste begleitet.
Neben Dieter Hoven hockte ein dicker Kerl. Seine Kleidung wies ihn als Amerikaner aus. Längsgestreifte Hose, die Jacke paßte farblich nicht dazu, und die helle Mütze mit dem grünen Plastikschirm schien auf seinem Haar zu kleben. Vor seiner Brust hing eine Kamera. Sie besaß ein gewaltiges Objektiv, das sicherlich ein kleines Vermögen gekostet hatte.
Der Ami knipste fast ununterbrochen. Was er da fotografierte, war Dieter nicht klar. Vielleicht das Wasser oder die am Ufer liegenden Kähne. Es konnte auch die breite Uferstraße sein, an deren Rand die alten Häuser standen.
Auf den Gehsteigen und der Straße selbst herrschte viel Betrieb. Von einer Brücke winkten Kinder zu. Eines war besonders frech und spie auf das Glasdach. Dort vereinigte sich der Speichel dann mit dem Kot der Tauben.
Rechter Hand erschien ein Park. Seine Grünfläche reichte direkt an die Uferstraße heran.
Wieder unterquerten sie eine der schmalen Brücken. Für einen Augenblick durchmaß ein schattiger dunkler Streifen das Boot in seiner Breitseite. Nach der Brücke schien wieder die Sonne.
Dieter Hoven schielte nach rechts. Der Ami kümmerte sich zum Glück nicht um ihn, so daß er sein Augenmerk auf Carla richten konnte. Sie schaute in dem Augenblick ebenfalls herüber, als hätte sie es geahnt, und um ihre Lippen zuckte ein feines Lächeln.
Dieter fühlte sich glücklich. War es nur dieses Lächeln, das er auch noch als eine Entschuldigung für den Rempler vorhin verstehen konnte, oder steckte mehr dahinter?
Möglich war alles. Vielleicht brachte sie ihm auch so etwas wie Sympathie entgegen, aber neben ihr saß ihr Freund. Ein schwarzhaariger junger Mann, der aus dem Fenster schaute.
Dieter lächelte abermals. Kräftiger jetzt, auch fordernder. Er hoffte, daß sie es verstehen würde, und ihre Augen weiteten sich für einen kurzen Augenblick der Zustimmung.
Also doch…
Auf einmal fiel es Dieter schwer, Atem zu holen. Trug das Blut daran die Schuld, weil es schneller durch seine Adern pulsierte? So etwas war ihm seit seiner Flucht aus der DDR nicht mehr passiert. Sicher, er hatte im Westen ein paar Mädchen kennengelernt, aber das war nie tiefer gegangen.
Hier spürte er plötzlich etwas. Und er hatte das Gefühl, daß die anderen Menschen überhaupt nicht mehr vorhanden waren. Wie auf einer Insel fühlte er sich. Allein mit dem Mädchen Carla…
Jäh wurde er aus seinen Träumen gerissen, als er ihre Stimme hörte, wobei sie ihn nicht ansprach, sondern ihren dicht neben ihr sitzenden Freund.
Der brummte seine Zustimmung und erwiderte etwas, das sich nicht sehr fein anhörte.
Carlas Gesicht verschloß sich. Jetzt schaute sie auch nicht mehr zu Dieter hin, sondern starrte vor sich auf die Knie.
Sie tat Dieter leid. Den Typ an ihrer Seite hätte er am liebsten in die Gracht gestoßen. Wut keimte in ihm hoch. Wie konnte man ein Mädchen wie Carla nur so demütigen oder zur Seite schieben? Das wollte ihm nicht in den Kopf.
Etwas Tröstendes zu sagen, fiel ihm ebenfalls nicht ein. Er hatte sich außerdem nicht einzumischen. Was die beiden miteinander ausmachten, ging nur sie etwas an.
Wieder sprach die Begleit-Hosteß. Sie redete von Sehenswürdigkeiten, erzählte etwas aus der Geschichte Den Haags und über das Königshaus, die Oranier.
Es konnten Fragen gestellt werden, und jemand fragte nach dem deutschen Ehemann der Königin, der krank war. Die Hosteß drückte sich geflissentlich um eine Antwort herum, während sich Dieter Hoven für seinen Landsmann, der so indiskret gefragt hatte, schämte.
Wenn sie keinen Begleiter hätte, ich würde sie glatt zum Essen einladen, dachte er. Schade, so…
Seine Gedanken wurden unterbrochen, weil der Freund zu Carla etwas sagte.
»Wie?« fragte Carla.
»Ich muß aufstehen.«
»Doch nicht jetzt?«
»Klar.« Der junge Mann nickte heftig. »Ich kann einfach nicht länger warten.«
»Worauf?«
»Wirst du schon sehen.«
»Piet, ich…«
»Laß mich durch! Ich muß zu ihm.«
»Von wem redest du?«
Piet gab keine Antwort mehr. Er hatte sich bereits erhoben und mußte geduckt stehen,
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