0278 - Tupilak, das Schneemonster
trunken machen, aber er belebte ihn und versetzte ihn nach dem dritten Pokal in leichte Hochstimmung. In seinen Augen loderte es, und das Silber, das ihm nicht schaden konnte, glomm schwach. Nein, schaden konnte es nicht, aber manchmal störte es. Dann kamen die furchtbaren Kopfschmerzen.
Über kurz oder lang würde es auch dafür eine Lösung geben.
Er beobachtete weiter.
***
Nicole Duval erwachte stöhnend. Zamorra sah, wie sie zögernd die Augen öffnete, und sprach sie an. Sie zuckte zusammen und stellte fest, daß sie gefesselt war.
»Wo sind wir? Wie kommen wir hierher?« stöhnte sie.
Zamorra erklärte es ihr mit wenigen Worten.
Nicole sah sich um. Das Innere der Holzhütte wurde von einer Öllampe mäßig erhellt. Als Nicole Zamorra ansah, zuckte sie zusammen. »Du bist verletzt! Das sieht ja furchtbar aus!«
»Ein Harpunenschuß«, erklärte Zamorra. »Kannst du deine Fesseln lösen oder dich zu mir heranrollen?«
»Ich versuch’s«, sagte sie. Sie begann an den Handfesseln zu zerren und zu kauen, was ihr gelang, weil man ihr die Hände nicht auf den Rücken gefesselt hatte; in ihrem Fall ein unverzeihlicher Fehler.
Es dauerte vielleicht eine Viertelstunde, dann konnte sie den Knoten lösen und bekam die Hände frei. Sie spie aus.
»Verflixt. Ich dachte schon, meine Zähne brächen ab«, sagte sie leise.
Sie richtete sich halb auf und begann ihre Arme zu massieren. »Mir ist kalt«, flüsterte sie.
»Hoffentlich hast du dir nicht eine Lungenentzündung geholt«, sagte Zamorra. »Du hast ziemlich lange in der Kälte gelegen.«
»Dann wäre ich jetzt schon am Husten«, sagte sie. Sie löste die Fesseln an den Füßen und massierte auch hier, um das gestaute Blut wieder in Bewegung zu setzen. Dann kam sie zu Zamorra und befreite ihn.
»Deine Wunde«, sagte sie.
Sie streifte ihm Jacke, Pullover und Hemd ab. Die Verletzung sah böse aus. So gut es ging, versuchte sie sie zu reinigen und verband sie mit Stoffstreifen, die sie von Zamorras Hemd abriß. »Dein Glück, daß die Wunde so stark blutete«, sagte sie. »Da wurde aller Dreck hinausgeschwemmt. Du dürftest es überstehen. Du darfst jetzt nur keine zu hastigen Bewegungen machen, daß alles wieder aufreißt.«
Sie hatte den Verband so straff gezogen, daß er schon schmerzte. Aber das war zu ertragen und erinnerte Zamorra ständig daran, daß er verletzt war und sich schonen mußte. Nicole half ihm, die Reste des Hemdes, den Pullover und die gefütterte Jacke wieder anzulegen.
»Was jetzt?«
»Jetzt müssen wir zusehen, daß wir hier irgendwie verschwinden«, sagte er. Er tastete nach dem Amulett, das sich kühl anfühlte und ruhig verhielt. Aber das konnte täuschen.
Er trat an die Hüttenwand. Sie war recht dünn. Da die Nomaden diese Hütten bei Auflösung ihres Lagerdorfes abrissen und das Holz mit sich nahmen, durften die hölzernen Bauten naturgemäß nicht zu massiv und auch nicht zu schwer sein, um den Schlittenhunden oder Zug-Rentieren keine zu große Last zuzumuten. Der Parapsychologe betrachtete das Holz im Dämmerschein der Talglampe. Wenn er auf der Rückseite versuchte, dicht über dem Boden ein paar Bretter zu lösen…
Durch die Tür ging es nicht. Das würde durch die Riegel zu viel Krach machen, und zudem konnte Zamorra sich gut vorstellen, daß da auchWachen standen. Wenn sie Pech hatten, umrundeten sie die Hütte natürlich ständig.
Trotzdem mußten sie es versuchen.
»Faß mit an«, bat Zamorra, nachdem er eine Stelle entdeckt hatte, wo die Nägel recht locker saßen. »Wir versuchen die Bretter hier zu lockern.«
Nicole nickte. Sie kniete sich neben Zamorra und begann vorsichtig zu drücken und zu schieben. Das von außen an den Stützbalken genagelte Brett gab langsam nach. Es war lang und dünn genug, daß es nicht ganz gelöst zu werden brauchte.
»Wir biegen es nach außen weg und schlüpfen durch«, entschied Zamorra.
»Und reißen uns an dem Nagel das Fleisch auf«, unkte Nicole. »Komm, die nächsten Bretter.«
Das zweite ließ sich nicht ganz so leicht lösen wie das erste. Sicher, normal wäre es keine Schwierigkeit gewesen, einmal kräftig dagegenzutreten und es abplatzen zu lassen. Aber alles mußte geräuschlos ablaufen, damit die Wachen auf der Vorderseite der Hütte nichts von dem Fluchtversuch mitbekamen.
Schließlich hatten sie drei Bretter gelöst und bogen sie langsam nach außen. Das unterste schob Schnee vor sich her, der sich angesammelt hatte, und sperrte schon kurz
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