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0278 - Tupilak, das Schneemonster

0278 - Tupilak, das Schneemonster

Titel: 0278 - Tupilak, das Schneemonster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Die Schneehütte des Angakok war verschlossen. Niemand durfte in diesen Stunden den Schamanen in seinem Iglu stören, denn er hatte Besuch.
    Niemand aber durfte auch wissen, wer dieser Besuch war. Er war in schwarzgefärbte Felle gekleidet und verbarg sein Gesicht. Nur im Iglu zeigte er es, und in seinen Augen glomm ein Höllenfeuer, wie es der Schamane niemals zuvor gesehen hatte.
    Draußen raunten die Männer und flüsterten die Frauen. Scheu betrachteten sie das Reittier, mit dem der Fremde gekommen war. Er ließ sich nicht von Schlittenhunden ziehen, auch nicht von Rentieren, sondern ritt auf einem schwarzen Pferd. »Unmöglich«, murmelten einige, »Zauberei«, hauchten andere erschreckt. Denn jeder wußte, daß ein Pferd, das man bisher nur von Abbildungen her kannte, niemals durch den Schnee kam. Und doch war der Fremde hierher geritten.
    Es war ein seltsames Pferd. Naugor, der einmal in der Zivilisation der südlicheren Länder gewesen war, kannte Pferde, aber nie hatte er eines gesehen, von dem andauernd Dampfwolken aufstiegen, so als sei es unglaublich heiß. Noch dichter waren die Dampfströme, die beim Ausatmen aus den Nüstern stoben. Niemand wagte sich nahe an das Pferd heran. Es war ihnen allen so unheimlich wie sein schwarzer Reiter.
    Auch wagte es niemand, sich der Hütte des Schamanen zu nähern.
    Ein dünner Rauchfaden stieg aus der Öffnung im Kuppeldach. Dumpfe Worte waren zu hören, aber nicht zu verstehen. Der Schamane und sein Besucher verwendeten eine Sprache, die den Innuit unbekannt war.
    »Du hast ihn erschaffen?« fragte der Unheimliche.
    »So, wie du es mir im Traum sagtest und wie die alte Tradition es vorschreibt«, erwiderte der Schamane. Er versuchte in den Gesichtszügen des anderen zu lesen, aber es gelang ihm nicht. Etwas Dämonisches ging von dem Mann aus, und in seiner Stirn, über der V-förmigen Einkerbung über der Nasenwurzel, funkelte Silber im Schein der Talglampe.
    »Das ist gut«, zischte der Unheimliche. »Und funktioniert er, wie er es soll?«
    »Er funktioniert, wie er es soll. Er wird wüten. Doch wann wirst du mir den Preis bezahlen, den du mir versprachest?«
    »Sobald der Gegner, den ich hasse wie nichts auf der Welt und der mir im Weg steht zur Erfüllung meiner Bestimmung und zum Erreichen der höchsten Macht, vernichtet ist. Sobald er im ewigen Eis sein Grab gefunden hat – dorthin, wo der Tupilak ihn locken wird, um ihn zu zerreißen.«
    »So sei es.«
    »Angakok Shinan, wird der Tupilak auch stark genug sein? Der, den ich hasse, ist stark und mächtig. Fast wäre es ihm und seinen Helfern gar gelungen, mich zu töten. Selbst Dämonen vernichtete er.«
    »Wie soll er etwas töten können, was nicht lebt?« fragte der Angakok spöttisch. »Der Tupilak lebt nicht, er ist nicht aus Fleisch und Blut. Somit ist er auch nicht zu töten, nicht zu vernichten. Erst wenn sein Zweck erfüllt ist, wird er zerfallen und wieder das sein, woraus ich ihn schuf. Er ist unbesiegbar.«
    Der Unheimliche grinste.
    »Ich werde dir von Zeit zu Zeit einen Besuch abstatten, um zu sehen, ob du meine Erwartungen erfüllen kannst«, sagte er und erhob sich. »Tu, was du zu tun hast, Angakok Shinan.«
    Der Schamane öffnete den einzigen Zugang zu seinem Iglu und ließ seinen Besucher hinaus, der sein Gesicht wieder verhüllt hatte. Nicht einmal die Augen waren zu erkennen. Der Hochgewachsene schwang sich auf das Pferd und ritt wortlos davon. Mit brennenden Augen sah der Schamane ihm nach.
    »Unsterblichkeit«, flüsterte er. »Ewiges Leben und Macht über die Welt… das ist es mir wert… das ist alles wert…«
    Niemand hörte seine geflüsterten Worte. Und niemand wußte, wer sein Besucher war, der ihm Unsterblichkeit und Macht versprochen hatte.
    Einer hätte vielleicht zu sagen gemocht, wer dieser Unheimliche war, aber dieser eine war nicht hier. Er befand sich in Frankreich in einem Schloß im Loire-Tal. Und er hielt diesen Unheimlichen doch längst für tot, ausgelöscht durch eine geweihte Silberkugel…
    Aber die Macht der Hölle ist zuweilen stärker.
    ***
    Naugor war es, der die beiden Toten fand. Er rollte ihre sterblichen Überreste auf eine große Decke, bedeckte sie mit Schnee und lud sie auf seinen Schlitten. Dann brachte er sie in das kleine Dorf auf halbem Weg zwischen Jakobshaven und Christianshab.
    Leid und Trauer kamen über das Schneedorf. Entsetzte Innuit umstanden die beiden Toten, die losgezogen waren, einen Eisbär zu jagen. »Aber das war niemals ein Eisbär,

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