0280 - Turm der weißen Vampire
Die Haut platzte weg, und helle Knochen kamen zum Vorschein.
Father Ignatius wandte sich ab. Um diesen Blutsauger brauchte er sich nicht mehr zu kümmern. Der war erledigt. Ruth hatte sich ebenfalls erhoben.
Sie starrte ihn an.
In ihren Augen lag ein seltsamer Ausdruck. Father Ignatius hatte ihn schon des öfteren bei Menschen erlebt. Immer dann, wenn sie etwas erlebt hatten, das sie nicht fassen konnten, weil es einfach zu unbegreiflich war und erst im nachhinein durch die Erinnerung wieder hochgespült wurde und es deshalb manchmal zu panikartigen Reaktionen kam.
Sicherheitshalber wand der Mönch ihr das Gewehr aus den Händen. Dann erst sprach er sie an.
»Ja!« Sie antwortete mit diesem einen Wort und zuckte zusammen. »Was ist denn?«
»Er ist erledigt!«
Da erst begriff sie. »Der Vampir?«
»Ja, meine Liebe. Kommen Sie! Wir können nicht mehr lange hierbleiben.«
Ruth Thompson tastete nach der Hand des Paters, als suche sie Schutz. Dann schaute sie auf den allmählich vergehenden Blutsauger, der mittlerweile völlig zu Staub verfallen war. Gerade jetzt fegte ein Windstoß herbei, wehte den Staub zu einer langen Fahne hoch und trug die Reste davon.
»Das war der Vampir«, murmelte der Mönch.
»Und die anderen?« hauchte Ruth.
»Werden wir auch noch bekommen. Ich bin sicher, daß sie das Schloß verlassen haben und sich hier in der Umgebung herumtreiben.« Während dieser Worte schaute sich Father Ignatius um, sah aber nichts, sondern nur die wie tot wirkenden Fassaden der alten Häuser.
»Vielleicht beobachten sie uns.«
»Das ist möglich.«
»Mein Gott, was sollen wir tun?«
Der Mönch lächelte. »Abwarten, meine Liebe, nur einfach abwarten, das ist am besten.«
»Sie sagen das so leicht. Ich habe wirklich eine Höllenangst ausgestanden. Wäre ich allein gegen die Vampire angegangen, dann hätte ich wirklich nicht…« Sie verstummte, denn sie sah, daß ihr Begleiter seinen Kopf in den Nacken gelegt hatte und den Blick gegen den grauen Himmel richtete.
»Was ist los?« fragte Ruth.
»Hören Sie das Geräusch nicht?«
Die Frau konzentrierte sich. »Ja!« flüsterte sie nach einer Weile, »da ist ein Brummen. Von einem Flugzeug, würde ich sagen. Himmel, es wird doch nicht das Postflugzeug sein.«
»Welches sonst?«
»Dann…« Sie schluckte. »Dann wird es hier auf der Insel landen. Und der Pilot…«
»Ich werde ihn warnen.«
»Und was machen Sie mit mir?«
»Ich bringe Sie in Sicherheit, Ruth.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Wo kann man denn auf dieser verdammten Insel vor den Blutsaugern sicher sein? Nirgendwo, sage ich Ihnen. Die sind zu grauenhaft, die laufen…«
Der Mönch schob Ruth Thompson herum, so daß ihr Blick genau auf die Kirche fallen mußte. »Dort ist das Haus Gottes«, erklärte er.
»Die Vampire sind Geschöpfe des Satans. Sie werden sich nicht in die Kirche hineintrauen. Da sind Sie sicher!«
»Meinen Sie wirklich?«
»Ja, natürlich, kommen Sie.« Father Ignatius schob die Frau vor, weil sie noch zögerte, sich in Bewegung zu setzen. Dann ließ er sie los. »Laufen Sie den Rest allein. Die Tür ist offen. Und beten Sie, wenn Sie können. Noch sind sechs Vampire übrig.« Von dem Blutsauger, der in der Burg erledigt worden war, wußten beide ja nichts.
Father Ignatius atmete auf, als die Frau im Gotteshaus verschwunden war. Jetzt konnte er sich um die anderen Vampire kümmern, doch zuvor schaute er in den Himmel.
Deutlich schälte sich das Flugzeug aus den grauen Wolken. Es war eine Piper. Die Tragflächen wackelten ein wenig, denn in der Höhe herrschten Turbulenzen.
Der Pater wußte nicht, wo die Maschine landen wollte. Einen Flugplatz hatte er bisher nicht gesehen. Er rechnete aber damit, daß es auf einer freien Fläche nahe der Ansiedlung geschah.
Von John Sinclair und dessen Freund Suko sah er nichts. So wollte er den Piloten warnen und darauf drängen, daß dieser die Insel sofort wieder verließ.
***
Vampire sind keine Menschen!
Ein etwas spöttischer oder zynischer Spruch, der im Prinzip jedoch stimmte. Denn die Wiedergänger dachten nicht, konnten nicht überlegen. Wenn sie ihre zweite Gestalt angenommen hatten, dann gierten sie nur nach Blut.
Dabei jedoch schätzten sie genau ihre Chancen und Möglichkeiten ab.
Fünf Augenpaare starrten auf die jetzt leere Straße. Und fünf Vampire hatten miterlebt, was geschehen war, wie ihr Artgenosse sein untotes Dasein aushauchte, und sie hatten sich auf den neuen Feind eingestellt.
Es war der
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